Potsdamer Konferenz - Forum IV

Jutta Schmidt

Chancengleichheit, Ost-West

- Geschlechterfragen in den Gewerkschaftsstrategien -

Aus den bisherigen Referaten und Diskussionen ist deutlich geworden, dass Chancengleichheit die Geschlechterproblematik, die Chancengleichheit für unterschiedliche soziale Gruppen, für verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen und für verschiedene Regionen, z. B. Ost - West, umfasst. Dies gilt uneingeschränkt auch für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Zu den sozialen Gruppen ist schon vieles gesagt worden. Ich will nur zwei Bemerkungen anschließen: Für das Studium bedeutet Chancengleichheit für verschiedene soziale Gruppen u. a. auch, dass auch die Bildungsfinanzierung und die Studienförderung entsprechend gestaltet werden müssen.

Dass wir uns in diesem Zusammenhang gegen Studiengebühren für ein erstes berufsqualifizierendes Studium - das bei den neuen gestuften Abschlüssen den Mastergrad selbstverständlich einschließt - wenden und die lange fällige Reform der Studienförderung anmahnen, brauche ich wohl nicht zu erläutern oder zu begründen. Zweitens muss die Möglichkeit des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte ohne herkömmliche Hochschulzugangsberechtigung in allen Bundesländern ausgeweitet und erleichtert werden. Wir verstehen dies als ein Element der geforderten Durchlässigkeit des Bildungssystems, in diesem Falle zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung. Kein Bildungsweg darf in eine Sackgasse führen.

Unter dem Stichwort Chancengleichheit verschiedener Hochschulen und Forschungseinrichtungen will ich nur ein Problem benennen: Die Ungleichbehandlung von Universitäten und Fachhochschulen, vor allem durch die Laufbahnvorschriften des öffentlichen Dienstes. Wir sind nicht dafür, dass die Fachhochschulen langsam zu Universitäten werden oder die Universitäten sich gegen die Fachhochschulen den Markt der anwendungsorientierten Studiengänge erschließen. Beide sollen ihre Profilierung beibehalten, aber gleichberechtigt nebeneinander bestehen.

Der Kampf um knappe Finanzen und die Einführung gestufter Studienabschlüsse darf nicht dazu führen, dass die Kluft zwischen Universitäten und Fachhochschulen und ihren AbsolventInnen vor allem auf Bestreben der Universitäten und ihrer "typischen" Vertreter hierarchisch vertieft wird. Wir präferieren Kooperationsmodelle zwischen verschiedenen Hochschulen, auch unterschiedlichen Typs. Und was die Laufbahnen und die Besoldung angeht: Die ÖTV tritt schon lange dafür ein, die Abschottung zwischen den einzelnen Laufbahnstufen, z. B. zwischen gehobenem und höherem Dienst, aufzuheben, die Durchlässigkeit zu gewährleisten und die Personen nach ihrer individuellen Qualifikation zu behandeln.

Dem "Mainstreaming"-Konzept sollte der Vorrang vor Sonderprogrammen eingeräumt werden.

Lassen Sie mich zum Aspekt der Chancengleichheit von Regionen die Ost - West - Problematik herausgreifen. Es wurde schon mehrfach gesagt, dass die Anzahl der Beschäftigten in Wissenschaft und Forschung - ganz gleich, welche Bezugsbasis gewählt wird, - im Osten deutlich niedriger ist als im Westen. Die Gründe dafür liegen vor allem im Abbau der Industrieforschung nach der deutschen Einheit. Aber auch die Wissenschaftseinrichtungen des öffentlichen Sektors besitzen eine deutlich geringere Kapazität als im Westen. Unseres Erachtens ist es eine Aufgabe des Staates, dieser Diskrepanz gezielt entgegenzuwirken.

Angesichts der Finanzschwäche der ostdeutschen Länder steht der Bund dabei in einer besonderen Verantwortung. Dieses bewusste Gegensteuern soll nicht nur erfolgen, um die Kluft zwischen Ost und West schließen zu helfen, sondern vor allem auch, um den jungen Menschen in den östlichen Bundesländern einen Anreiz für den Erwerb einer wissenschaftlichen Qualifizierung zu geben und ihnen Perspektiven für eine Tätigkeit in der Wissenschaft in diesen Bundesländern zu eröffnen.

Die Förderung der Wissenschaft in den östlichen Bundesländern wird sicher auch in den nächsten Jahren noch besondere Aufmerksamkeit genießen müssen. Aber auch dabei sollte dem "Mainstreaming-Konzept" Vorrang vor Sonderprogrammen eingeräumt werden. Der vom BMBF verfolgte Ansatz, Wissenschaft und Forschung mit anderen Ressorts zu verknüpfen, scheint mir ein ebenso richtiger Beitrag zu sein wie die aufgelegten und geplanten Programme, in denen einerseits die Wissenschaft mit verschiedenen Wirtschaftszweigen verbunden und andererseits der Osten als vorrangig zu behandelnder Bestandteil gesamtdeutscher Problematik gesehen wird. Die Unterschiede in den Tarifverträgen, die für den öffentlichen Dienst in Ost und West gelten (BAT-O bzw. BAT), und in der Besoldung erweisen sich für die Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Osten als echter Standortnachteil.

Auch dies - und nicht nur das Dringen auf die Gleichbehandlung von Beschäftigten nach dem alten gewerkschaftlichen Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" - ist für die Gewerkschaft ÖTV ein gewichtiger Grund, die schnelle Angleichung der tarifvertraglichen Regelungen Ost an die im Westen zu fordern.

Wenn schon vom Osten die Rede ist, schließe ich einige Gedanken zur Gender-Problematik an: Ich komme selbst aus der ehemaligen DDR, habe ein technisches Studium - Elektrotechnik - absolviert und war lange in einer ingenieurwissenschaftlichen Forschungseinrichtung, dem jetzigen WGL-Institut für Halbleiterphysik in Frankfurt/ Oder, beschäftigt. Chancengleichheit und Gleichstellung waren auch in der DDR mit vielen Problemen behaftet.

Aber es gab gezielte individuelle und strukturelle Maßnahmen, Frauen und Mädchen für naturwissenschaftliche und technische Fächer zu interessieren, in der beruflichen Bildung wie zum Studium. Dies begann schon in der Schule. Dort stellte die Integration des beruflichen Alltags ein Ziel dar. Gezielte Unterstützung von Studentinnen bei speziellen Problemen galt als permanente Aufgabe, von Kinderkrippen und Kindergärten an Hochschulen, die den "wissenschaftsexternen" Faktoren zuzurechnen sind, einmal ganz abgesehen.

Chancengleichheit und Gleichstellung waren auch in der DDR mit vielen Problemen behaftet. Aber es gab gezielte individuelle und strukturelle Maßnahmen, Frauen und Mädchen für naturwissenschaftliche und technische Fächer zu interessieren.

Ohne dies auf das heutige System übertragen und ohne eine Bewertung des Alten vornehmen zu wollen: Vielleicht könnten aus dieser Vergangenheit aber Anstöße für die Realisierung von Chancengleichheit und Gleichstellung in der Zukunft abgeleitet werden. Auch in solchen Fragen könnten aus dem Osten und seinen Erfahrungen durchaus Anregungen für die Lösung gesamtdeutscher Probleme erwachsen.

Die Gewerkschaft ÖTV favorisiert das Gender-Mainstreaming-Konzept. Wir halten es mittel- und langfristig für das am besten geeignete, Chancengleichheit und Gleichstellung nachhaltig zu erreichen. Aber solange noch andere Methoden nötig sind, werden wir mit einem Mix der erforderlichen Instrumente arbeiten. Dazu gehört die Quotierung.

Damit sind wir beim Punkt Geschlechterfragen. Um es vornweg zu sagen: Die Gewerkschaft ÖTV favorisiert das Gender-Mainstreaming-Konzept. Wir halten es mittel- und langfristig für das am besten geeignete, Chancengleichheit und Gleichstellung nachhaltig zu erreichen. Aber solange noch andere Methoden nötig sind, werden wir mit einem Mix der erforderlichen Instrumente arbeiten. Dazu gehört die Quotierung: Wir haben z. B. in allen unseren Organen und Gremien eine strenge Quotierung des Frauenanteils in der Satzung verankert und umgesetzt. Auch um den Frauenanteil an "höheren" Positionen in Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu steigern - gerade, wenn in den nächsten Jahren viele Hochschullehrer ausscheiden - wird an einer Quotierung kein Weg vorbei führen. Der zweite unverzichtbare Schritt ist eine Normierung:

Wir streiten dafür, dass alle Hochschulen und Forschungseinrichtungen unter den Geltungsbereich von Gleichstellungsgesetzen fallen, und beobachten deshalb aufmerksam die gegenwärtigen Absichten der Bundesministerinnen Bergmann und Bulmahn. Aber auch in anderen Gesetzen, wie z. B. beim HRG und seiner Novellierung und in den Haushaltsgesetzen von Bund und Ländern ist das Festschreiben von Vorschriften und das Aufnehmen von Programmen, Projekten und Maßnahmen zur Durchsetzung von Chancengleichheit und Gleichstellung unbedingt erforderlich.

Hier setzt dann Gender-Mainstreaming ein: In diesem Sinne achtet die ÖTV u. a. bei den o. g. Gesetzen nicht nur auf die "unmittelbaren" Festlegungen, sondern wir betrachten auch alle anderen Passagen und deren mögliche Folgen unter Gender-Gesichtspunkten. Ich will aber als Beispiel für die ÖTV nicht den Wissenschaftsbereich wählen sondern - wenn auch nur in Umrissen - eines der "Kerngeschäfte" der Gewerkschaften: Die Tarifarbeit. Deren Ergebnisse wirken sich freilich auch unmittelbar auf den Wissenschaftsbereich aus.

Entsprechend des Amsterdamer Vertrages der EU und des Beschlusses des Europäischen Gewerkschaftsbundes von 1995 hat die Gewerkschaft ÖTV als erste deutsche Gewerkschaft das Gender-Mainstreaming-Konzept in ihre Tarifarbeit übernommen. Sie ist damit neben ein paar skandinavischen Gewerkschaften führend in Europa und in der Welt. Unterstützt durch eine Gender-Mainstreaming-Beauftragte besteht jetzt die Aufgabe, geltende Tarifverträge und zukünftige Forderungen, Entwürfe, Vorschläge und Angebote unter Gender-Mainstreaming-Gesichtspunkten zu prüfen und ggf. Veränderungen einzufordern.

Dies wurde erstmals in der Tarifrunde 1998 praktiziert und ist jetzt integrierter Bestandteil der Arbeit der Tarifkommissionen. Darüber hinaus hat die ÖTV basierend auf den Ergebnissen eines Gutachtens zur Diskriminierung von Frauen und von "typischen" Frauentätigkeiten im wichtigsten Tarifwerk, bei dem die ÖTV Tarifvertragspartei ist, dem des öffentlichen Dienstes, eine Kommission eingesetzt. Diese Kommission verfolgt mit einer Kampagne zur Aufwertung von Frauentätigkeiten das Ziel, zu diskriminierungsfreien Arbeitsbewertungskriterien in Tarifverträgen zu kommen.

Ausgehend von ersten Erfahrungen zeigt sich, dass eine wirksame Umsetzung noch eines gezielten Prozesses bedarf, denn dieses Konzept ist für die meisten Akteure noch Neuland. Deshalb sind u. a. vorgesehen, in einer Kommune eine empirische arbeitsbewertende Analyse durchzuführen, um Hinweise auf Diskriminierungen zu verifizieren und zu konkretisieren, und ein tragfähiges nicht-diskriminierendes Arbeitsbewertungssystem zu erproben.

Wir werden Gender-Mainstreaming in die gewerkschaftliche Bildungsarbeit aufnehmen und Veranstaltungen, auch mit Arbeitgebern, zu dieser Problematik durchführen. Die Ergebnisse werden wir auf der EXPO 2000 präsentieren.

Zusammengefasst gesagt:
Wir sind generell der Überzeugung, dass nachhaltige Verbesserungen im Sinne von Chancengleichheit und Gleichstellung nur durch strukturelle Veränderungen zu erreichen sind. Solange erforderlich, kann aber auf "Sonderregelungen" nicht verzichtet werden.


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Christa Cremer-Renz, Klaus Faber
- Prof. Dr. Klaus Landfried
- Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel
- Barbara Stolterfoht

Round-Table 1:
Frauen und Männer in Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Dr. Peter Döge
- Dr. Barbara Hartung
- Dr. Larissa Klinzing
- Dr.-Ing. Karl-Heinrich Steinheimer

Round-Table 2:
Wissenschaft in Ost und West
- Gerd Köhler
- Prof. Dr. Barbara Riedmüller
- Jutta Schmidt
- Klaus Faber
- Tilo Braune