Potsdamer Konferenz - Forum IV

Tilo Braune

Chancengleichheit und gesamtdeutsche Strukturpolitik

Wer die Diskussionsbeiträge zum Thema Chancengleichheit in Hochschule und Forschungseinrichtungen Revue passieren lässt, könnte leicht zu der Einschätzung gelangen: Die Defizite sind minutiös beschrieben worden, packen wir es an, sie aufzuarbeiten. Aber wir wissen alle, dass die Messen längst gesungen sind und viele Chancen, besonders in der Wendezeit, verpasst wurden, die einfach nicht mehr aufgeholt werden können. Der Westen war sich darüber im klaren: Sein System der Hochschulen war überbedürftig an Reformen und ist es heute noch. Der Osten kam hinzu, und keiner war vorbereitet - auch im Westen nicht, Reformen wirklich umzusetzen, weil es tragfähige Modelle nirgendwo gab, offensichtlich auch nicht in den Schubladen von Wissenschaft und Verwaltung. Von der grundsätzlichen Bereitschaft zu Reformen in Deutschland ganz zu schweigen.

Im Widerspruch zu einer Aussage von Barbara Riedmüller will ich anmerken: Man darf nicht einfach so stehen lassen, dass ostdeutsche Eliten in der Politik bereits angemessen repräsentiert seien. Sicher gibt es Beispiele, dass ein gewisser Aufstieg durchaus gelungen ist. Für die Landtage in den ostdeutschen Ländern stimmt das. Hier sitzen regelmäßig Landeskinder, was naheliegend ist. Aber hier von politischer Elite zu sprechen, scheint mir zu eingeengt. Schaut man auf die Ebene der Staatssekretäre in den Landesregierungen und der Leitungsbereiche der Bundesregierung, gibt es vier oder fünf mit einer ostdeutschen Biografie.

Viele Chancen können einfach nicht mehr aufgeholt werden, die besonders in der Wendezeit verpasst wurden.

Bei den Ministern in den ostdeutschen Ländern sieht die Sache erfreulicher aus, weil hier meistens darauf geachtet wird, dass zumindest die Spitzen der Häuser aus dem Lande oder, wenn es geht, aus dem Osten stammen. Aber zu mehr als 70, 75 % ist auch das nicht erfüllt. So gesehen will ich einfach einschränken: Unter den Führungseliten in Gesamtdeutschland sind Ostdeutsche im Promillebereich zu finden. In Ostdeutschland ist die Repräsentanz etwas deutlicher, aber Ostdeutsche in westdeutschen Führungseliten muss man schon sehr lange suchen.

Ähnlich ist es in der Wirtschaft. Es gibt wohl einzelne Beispiele, zum Beispiel die Intershop-Computerfirma, die sich mittlerweile sogar weltweit etabliert hat. Da ist eine ostdeutsche Gründung, als solche eine absolute Ausnahme, die nicht die harte Gesamtwirklichkeit verschönen kann. Die Gewerkschaften sind, glaube ich, wirklich die einzige bundesweite Organisation, in der auch Ostdeutsche gesamtdeutsch eine Chance bekommen haben. So gesehen, kann ich mich als Exot fühlen, der ich schon zu Ostzeiten ein Stückchen war.

Ich hatte das seltene Vergnügen, aus Überzeugung - ich komme damit auf unser Oberthema zurück - mich um meine Kinder zu kümmern, sie zu windeln und auch mit ihnen krank zu machen. Ich will keinen Beifall dafür, ich bin dafür bestraft worden. Meine Chefs haben mich zu sich gerufen und gefragt, ob ich nicht arbeitswillig bin. Und einige Professoren kamen dann zu der Meinung, ich müsse mich wohl erst mal in der Praxis bewähren, um zu wissen, wie man zu studieren hat und nicht mit den Kindern krank macht. Das würden sonst ja nur die Frauen tun.

Unter den Führungseliten in Gesamtdeutschland sind Ostdeutsche im Promillebereich zu finden. In Ostdeutschland ist die Repräsentanz etwas deutlicher, aber Ostdeutsche in westdeutschen Führungseliten muss man schon sehr lange suchen.

Von dieser leider gesamtdeutsch typischen Reaktion einmal abgesehen, ist festzuhalten, dass ein Stückchen Gleichberechtigung bis zur mittleren Ebene, im sogenannten akademischen Mittelbau im Hochschulsystem Ostdeutschlands, entwickelt war. Während meines Medizinstudiums gab es einen Frauenanteil bis zu 70 % in der Studentenschaft; beim akademischen Mittelbau lag er noch über 50 %. Dann passierte in der höheren Phase das, was auch in Westdeutschland bekannt ist, die Ausdünnung im Bereich der Habilitationen und der Lehrstuhlbesetzung war eklatant.

Dennoch macht es Sinn, auch wenn wir das heute nicht schaffen, einmal über die unterschiedlichen ost- und westdeutschen Sozialisationen in der Frage der Geschlechter zueinander ein wenig genauer nachzuschauen. Da kommt man zu manchen unterschiedlichen, aber interessanten Sichten. Wir hatten auf der Alltagsebene ein Stück Gleichstellung, und wir erlebten als ostdeutsche Männer, dass Frauen bis zu einer gewissen hierarchischen Ebene, die aber den Alltag betrifft, doch ziemlich gleichwertig behandelt worden sind und auch ihre Karrierechancen bis zu dieser Ebene hatten. Für beides, Karrierechance und bürgerliche Hemmschwelle, eine Geschichte:

Ich hatte eine Vorgesetzte, eine hochintelligente Fachfrau, die mit einem Kollegen, übrigens auf gleicher Qualifikationsebene, zu unserem Chef gerufen wurde, der beiden sagte: "Ich möchte einen von Ihnen beiden zur Habilitation bringen und eine wissenschaftliche Karriere ermöglichen. Wer möchte von Ihnen?" - Der Mann sagte trocken: "Ich." Wir anderen wussten, der war deutlich schlechter als die Kollegin. Die Frau antwortete eher zurückhaltend: "Darüber muss ich nachdenken."

Nach einer Woche teilte sie mit: "Wissen Sie, meine Kinder sind noch klein. Wenn ich jetzt Karriere mache, läuft mir wahrscheinlich der Mann noch weg. Sehen Sie es mir nach; ich hätte viel Lust, aber ich mache es nicht." - Sie hat aus einer gewissen Selbstzensur, die natürlich gesellschaftlich determiniert war, auf diese große Chance verzichtet. Das heißt also, und dies wollte ich verdeutlichen, ab einer gewissen Ebene wirkten dann wohl ähnliche Mechanismen, wie sie auch im Westen wirken.

Klaus Faber hat ziemlich deutlich gemacht, wo die Defizite waren im Hochschulbereich. Die Industrieforschung ist kaputt gegangen, die Akademieforschung ist quasi abgewickelt worden. Das Wissenschaftler-Integrationsprogramm hat sich, wenn auch vielleicht gut gemeint, als eine sogenannte Edel-ABM für Akademiker herausgestellt. Echte Integration hat es unter 10 % gegeben. Mehr war auch wahrscheinlich nicht vorstellbar; in einer Phase, in der man an den ostdeutschen Universitäten und anderen Hochschulen das Personal abbaute, um die Personalstruktur auf westdeutschen Level zu bringen, gleichzeitig zusätzliche Leute, die auch noch aus anderen fachspezifischen Bereichen kamen, zu integrieren versuchte, war die Absicht des WIP wohl vornherein ein totgeborenes Kind.

Es war gut, ein paar Leute noch ein paar Jahre beschäftigten zu können, ihre Kompetenz, ihr Wissen und ihre Fähigkeit zu nutzen. Einigen ist die Aufnahme in die Industrieforschung auch tatsächlich gelungen; insgesamt ist es jedoch ein Problem geblieben.

Das Hochschulerneuerungsprogramm hat einen hochdefizitären Bereich mittelfristig defizitär gemacht, aber nicht in eine wirkliche Chancengleichheit oder -ähnlichkeit geführt, die für einen fairen Wettbewerb Ausgangsbedingung ist.

Der akademische Mittelbau, dem ich selbst angehörte und von dessen Existenznotwendigkeit ich heute noch überzeugt bin, ist der Zahl und der inhaltlich Position nach abgebaut worden. Er hatte wesentliche Teile der Lehre miterfüllt und das auf einer zum Studenten sehr nahen Position. Die Kluft, wir waren ja sehr hierarchisch aufgebaut in Ostdeutschland, zwischen Student und Professor war riesengroß; aber zum Assistenten war die Distanz gering, den mal anzurufen oder bei ihm vorzusprechen, war jederzeit leicht möglich. Und diese Chance, engen Kontakt zu haben und Verständnis wie konkrete Unterstützung zu finden, dies war wirklich ein Pfund, das man bedauerlicherweise zerschlagen hat, wobei ich pessimistisch bin, ob man das jemals wiederherstellen könnte. Ich wäre zufrieden, wenn das gelänge.

Größere Forschungseinrichtungen sind ebenfalls, soweit sie überhaupt bestanden, zerschlagen worden. Das Hochschulerneuerungsprogramm war hilfreich, hat aber einen hochdefizitären Bereich mittelfristig defizitär gemacht, nicht wirklich in eine Lebensfähigkeit und - um auf die andere Moderation vorhin zurückzukommen - in eine wirkliche Chancengleichheit oder -ähnlichkeit, die für einen fairen Wettbewerb Ausgangsbedingung ist, geführt. Das Hochschulsonderprogramm, das wir seinerzeit mühevoll im Bundestag dem Bundesminister Rüttgers abringen mussten, der es ursprünglich verweigern wollte, hat sicher insbesondere im Frauenbereich gewisse Hilfen gebracht.

Wir haben auch gehört, wie es mitunter ein wenig pervertiert wurde. Aber auch das hat die Situation nicht grundlegend verbessert. Und die Länderinvestitionen in die Hochschulen sind aus dem ganz objektiven Grund der leeren Kassen, die in manch ostdeutschem noch enger sind als in manch westdeutschem Land, vom Saarland und Bremen mal abgesehen, nur in einem geringen Maße in der Lage, die Hochschulsituation wesentlich qualitativ in der Zukunft zu verbessern.

Es gab einige positive Ansätze - und jetzt komme ich zu den Handlungsmöglichkeiten, die man weiter entwickeln kann. In der letzten Legislaturperiode ist der "BioRegio-Wettbewerb" veranstaltet worden, den ich von der Grundidee her begrüßte, der aber einen wesentlichen Strickfehler hatte: Er hat die Starken stärker gemacht, und die Schwachen sind unten durchgefallen. Ich bin froh, dass Bundesministerin Edelgard Buhlmahn, mit der ich in den letzten Jahren im Bildungsbereich zusammen gearbeitet habe, Gedanken, die wir aus Ostdeutschland damals entwickelten, für ein spezifisches Programm für den Osten, aufgegriffen hat, um die erkannten Defizite aufzufangen und da etwas Ähnliches wie mit dem BioRegio-Wettbewerb im High-Level-Bereich vorzulegen.

Damit wäre ein wirklich vernünftiger und hilfreicher Ansatz gefunden. Was den InnoRegio-Wettbewerb betrifft, sind vor einigen Wochen die Preisträger ermittelt worden. Ich bin nicht hundertprozentig zufrieden damit, weil man weniger auf Netzwerke, was ich mir eigentlich gewünscht hätte, sondern wieder mehr auf relativ fest definierte Verbundbereiche abgehoben hat. Aber ich habe die Hoffnung, dass man ein derartiges Programm ausbauen kann, auch für die, die nicht Preisträger waren, auch für Bewerber, die jetzt noch mit einer geeigneten Maßnahme mitzunehmen und auch dahinzubringen wären, dass sie zukünftig drittmittelfähige Dinge auf den Weg bringen können. Dies scheint mir ein ganz wichtiger Ansatz zu sein.

Wir müssen dazu kommen, dass die Programme nicht mehr nach Ost und West unterscheiden, dass die Vernetzung nicht an einer gedachten alten Zonengrenze abbricht.

Das nächste ist, gerade angesichts des InnoRegio-Wettbewerb für den Osten: Wir müssen in einem weiteren Schritt dazu kommen, dass die Programme nicht mehr nach Ost und West unterscheiden, sondern dass wir uns jetzt schrittweise aufeinander zu bewegen und die Vernetzung nicht an einer gedachten alten Zonengrenze abbricht. Denn das hieße eigentlich nur, die Ungleichheit festschreiben. Wir müssen in einem künftigen Schritt dazu kommen, dass leistungsfähige und entwicklungsfähige Hochschulen und Hochschuleinrichtungen des Ostens sich zunehmend mit westdeutschen zusammentun, um hier gemeinsam ihre Potenzen, auch ihre Erfahrungen, die ja sehr unterschiedlich sind, wie wir wissen, zusammenzubringen.

Man könnte hier zu der neuen Qualität kommen, die wir in der Wendezeit nicht geschafft haben. Das wird zwar nicht der ganz große Wurf mehr werden, der vielleicht damals in der Zeit lag und nicht genutzt werden konnte; das kann aber zumindest sukzessive und in kleinen Schritten vielleicht doch noch gewisse Erfahrungen und Wünsche mit in den Gesamtprozess, für die Hochschullandschaft Gesamtdeutschlands einbringen.

Und dann kommen wir vielleicht so weit, dass wir das, was bisher bedauerlicherweise nicht stattgefunden hat, nämlich eine durchgreifende Hochschulreform in Deutschland, die diesen Namen auch wirklich verdient, unter westdeutschem Erfahrungsschatz und unter ostdeutschem Erfahrungsschatz noch zu einem vernünftigen Ergebnis bringen. Das klingt ein bisschen nach Zukunftsmusik. Ich hoffe aber, dass wir es irgendwie hinbekommen können.


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Christa Cremer-Renz, Klaus Faber
- Prof. Dr. Klaus Landfried
- Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel
- Barbara Stolterfoht

Round-Table 1:
Frauen und Männer in Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Dr. Peter Döge
- Dr. Barbara Hartung
- Dr. Larissa Klinzing
- Dr.-Ing. Karl-Heinrich Steinheimer

Round-Table 2:
Wissenschaft in Ost und West
- Gerd Köhler
- Prof. Dr. Barbara Riedmüller
- Jutta Schmidt
- Klaus Faber
- Tilo Braune