Potsdamer Konferenz - Forum IV

Prof. Dr. Klaus Landfried

Chancengleichheit und Wettbewerb in den Hochschulen

Die beiden Teile Deutschlands, die seit 1990 wieder in einem Staat zusammen wachsen, hatten trotz der langjährigen Trennung und der unterschiedlichen politischen Systeme mit sehr unterschiedlichen Freiheitsgraden manches gemeinsam. Für das politische Ziel der "Chancengleichheit", für traditionell sozioökonomisch Benachteiligte und insbesondere für Frauen und die Schritte zu deren Verwirklichung gab es aber ebenso unterschiedliche ideologische Begründungen. Chancengleichheit überhaupt und Chancengleichheit im Bildungswesen im Speziellen war in Westdeutschland einer der progressiven Schlüsselbegriffe der sechziger und siebziger Jahre.

Georg Picht hatte auf die langfristigen ökonomischen Nachteile eines Bildungssystems, das nur einem sehr kleinen Teil eines Altersjahrgangs den Zugang zu höherer Bildung ermöglichte, hingewiesen. Daran schloss sich eine lebhafte Diskussion darüber an, wie man die Beteiligung an höherer Bildung und Ausbildung steigern könne, um die Lebenschancen - bei individueller Betrachtung - vor allen von Kindern aus den unteren sozialen Schichten zu verbessern und - bei kollektiver Betrachtung - deren Begabungspotential zugunsten der Gesellschaft auszuschöpfen. Neben dem quantitativen Ausbau weiterführender Schulen und Hochschulen gehört die finanzielle Förderung der Kinder aus einkommensschwächeren Schichten zunächst über das Honnefer Modell, später über das BAföG zu den wichtigen Maßnahmen.

Aus freiheitlicher Perspektive stellte sich das Bildungssystem der DDR zu jener Zeit als eines dar, in dem über staatliche Lenkung der Zugang von "Arbeiter- und Bauernkindern" zu höherer Bildung - auch auf Kosten anderer sozialer Gruppen und regimeferner Familien - sehr gezielt durchgesetzt wurde. Zu den sehr unglücklichen Folgen will ich hier nichts weiter sagen. Die Chancengleichheit der Geschlechter im Hochschulbereich wurde in Westdeutschland erst in den frühen achtziger Jahren zum Thema. 1891 hatte im Reichstag der Tagesordnungspunkt "Zugang von Frauen zu den preußischen Universitäten" Heiterkeit erregt, vor allem angesichts der gutachterlichen Feststellung des Münchner Ordinarius für Anatomie Th. von Bischoff: "Die Entwicklung des Gehirns des Weibes sei in jeder Hinsicht der des Kindes ähnlicher als der des Mannes..."

Ausgehend von einem relativ breiten Anteil von Frauen an den Studienanfängern insgesamt zeigten und zeigen sich immer kleiner werdende Anteile bei den Absolventen, beim wissenschaftlichen Mittelbau, bei den Habilitationen und den Professuren. Konsequenterweise war der Anteil an den C4-Professuren am kleinsten, er lag Ende der achtziger Jahre bei unter 4 %.

Zwar waren auch in der DDR die Geschlechter nicht gleichgewichtig im Lehr-und Forschungskörper der Hochschulen vertreten, doch gab es Anteile, ähnlich denen in der Türkei oder Spanien oder auch Israel, die wir heute in Deutschland nach fast einem Jahrzehnt gezielter Frauenförderpolitik im Hochschulbereich längst noch nicht erreicht haben.

Auf Initiative von Frauen - aber auch einigen Männern - begann eine öffentliche Diskussion vor allem in Wissenschaftsorganisationen und Politik über geeignete Maßnahmen zur Förderung von Frauen im Hochschulbereich. Frauenförderpläne wurden entworfen, Frauenförderrichtlinien erarbeitet, Frauenbeauftragte und Frauenbüros eingerichtet. Die Hochschule-Sonderprogramme von Bund und Ländern sahen Maßnahmen zur gezielten Förderung von weiblichem wissenschaftlichem Nachwuchs vor. Qualifikation und Erwerbstätigkeit von Frauen nahm in der DDR wie in den anderen sozialistischen Staaten einen anderen Verlauf als in der Bundesrepublik, wo Frauen es in der Wissenschaft nicht nur schwer hatten, sondern als spätes Erbe des Nationalsozialismus besonders zurückgeworfen wurden.

Zwar waren auch in der DDR die Geschlechter nicht gleichgewichtig im Lehr- und Forschungskörper der Hochschulen vertreten, doch gab es Anteile, ähnlich denen in der Türkei oder Spanien oder auch Israel, die wir heute in Deutschland nach fast einem Jahrzehnt gezielter Frauenförderungspolitik im Hochschulbereich längst noch nicht erreicht haben und - was ebenso wichtig ist - Frauen waren stärker in naturwissenschaftlich-technischen Fächern engagiert, die aus westdeutscher Perspektive nach wie vor zu den Männerdomänen zählen. Zieht man heute eine Zwischenbilanz der Bemühungen um Chancenausgleich in Deutschland insgesamt, so kommt man zu nüchternen Ergebnissen. Dies gilt sowohl für die Beteiligung der Kinder aus einkommensschwächeren bzw. bildungsferneren Schichten an höherer Bildung als auch für die Proportionen der Geschlechter im Hochschulbereich.

Lassen Sie mich zunächst auf die soziale Chancengleichheit eingehen. Während in Nachbarländern zum Teil höhere Akademikerquoten verzeichnet werden, spricht man in Deutschland häufig - allzu häufig - von Akademikerschwemme oder von Akademikerarbeitslosigkeit, obwohl die qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit von Akademikern statistisch nicht einmal halb so hoch ist wie die allgemeine Arbeitslosigkeit, und die von FH-Absolventen nochmals deutlich geringer. Dennoch wird in so genannten bildungsfernen Schichten gefragt: Lohnt der Weg über Abitur und Hochschule überhaupt, steht an dessen Ende überhaupt eine einträgliche Beschäftigungschance?

Sollte das Kind nicht besser einen "soliden" Beruf erlernen, zumal ein Studium teuer geworden ist? Nur noch knapp ein Sechstel der Studierenden gelangt heute in den Genuss der Ausbildungsförderung, nur ein Achtzehntel in den Genuss einer Vollförderung. Der Schwung der siebziger Jahre auf diesem Politikfeld muss erst wieder in Gang kommen. Fast die Hälfte der 17- und 18- Jährigen haben Väter mit Hauptschulabschluss, von ihnen gelangen 33 % in die gymnasiale Oberstufe und nur 18 % ins Studium. Nur 16 % aller Eltern verfügen über einen Hochschulabschluss, von dieser relativ kleinen Gruppe gelangen aber 84 % in die gymnasiale Oberstufe und 70 % an eine Hochschule. Im Klartext: Kinder von Akademikern, also Kinder aus Mittel- und Oberschicht, sind an den Hochschulen überrepräsentiert.

Dieses unbefriedigende Muster gilt mittlerweile auch für die neuen Länder, in denen zwar eine geringfügig höhere Bildungsbeteiligung der unteren sozialen Gruppen im Bereich der weiterführenden Schulen zu verzeichnen ist, jedoch gegenüber den alten Ländern eine wesentlich geringere Beteiligung derselben am Hochschulstudium. Neben der allgemeinen Stimmung liegt - wie ich schon erwähnte - eine wesentliche Ursache in der unzureichenden finanziellen Ausbildungsförderung. Die früher im Rahmen des BAföG vorgesehene Förderung des Besuchs der gymnasialen Oberstufe ist längst abgeschafft. Immerhin gibt es aber ein Meister(innen)- BAföG. Wurde das Studenten-Bafög seinerzeit als volle Zuschussförderung konzipiert und konnte von etwa einem Drittel der Studierenden in Anspruch genommen, ist es heute nur noch ein Schatten seiner selbst.

Mädchen sind mittlerweile an den weiterführenden Schulen das stärkere Geschlecht, mehr junge Frauen als Männer erwerben eine Hochschulzugangsberechtigung, eine Parität der Geschlechter ist auch beim Übergang auf die Hochschule zu verzeichnen, allerdings fallen die jungen Frauen auf den weiteren Qualifikationsebenen wieder hinter den Männern zurück.

In den politischen Diskussionen der jüngeren Zeit mehren sich die Stimmen derer, die über Studiengebühren nachdenken, nicht nur, um mehr Geld in die Hochschulen zu bringen, sondern auch - wie Minister Oppermann in Niedersachsen - um einen Beitrag zu mehr sozialer Lastengerechtigkeit im Hochschulbereich zu leisten. Die Hochschulrektorenkonferenz hat seit Juli 1996 betont, dass sie unter den gegenwärtigen Bedingungen Studiengebühren ablehnt und sich mit der Frage von eventuellen Studiengebühren erst wieder beschäftigen wird, wenn die Ausbildungsförderung auf einer neuen gesicherten Basis steht und gesetzlich abgesichert wird, dass den Hochschulen alle gesetzlichen Einnahmen ohne Rückwirkung auf den Landes-Zuschuss verbleiben. Alle Studien zeigen, dass weltweit die Partizipation der bildungsfernen Schichten mit einer wirksamen Ausbildungsförderung, wie auch immer sie organisiert ist, steht und fällt.

Ich will nun wieder zum zweiten Aspekt der Chancengleichheitspolitik im Hochschulbereich, auf die Benachteiligung von Frauen, zurückkommen. Es gibt inzwischen auch in den westlichen Bundesländern einige Erfolge, die wir nicht übersehen dürfen. Mittlerweile sind Mädchen an den weiterführenden Schulen das stärkere Geschlecht, mehr junge Frauen als Männer erwerben eine Hochschulzugangsberechtigung, eine Parität der Geschlechter ist auch beim Übergang auf die Hochschule zu verzeichnen, allerdings fallen die jungen Frauen auf den weiteren Qualifikationsebenen wieder hinter die Männer zurück, wenn sie auch insgesamt höhere Anteile erreicht haben. Immerhin hat sich der Frauenanteil an den Habilitationen in den letzten 15 Jahren mehr als verdreifacht, und im Bereich der Professuren hat der Frauenanteil die 8-Prozent-Marke überschritten, die günstigere Ausgangsposition, die wir zu Beginn der deutschen Einheit in den neuen Ländern hatten, ist allerdings dahin.

Auch auf diesem Gebiet hat sich - leider - bisher das westdeutsche Muster durchgesetzt. Während hinsichtlich der sozialen Chancengleichheit Barrieren beim Zugang zu weiterführenden Schulen und beim Hochschulzugang existieren, so ist im Bereich der Chancengleichheit der Geschlechter festzustellen, dass die Frauen durchaus in den Hochschulbereich gelangen, sich dort aber nicht im gleichen Umfang wie ihre männlichen Kollegen durchsetzen. Zwar gibt es für dieses Verhalten eine Vielzahl gesellschaftlicher Gründe, vor allem die nach wie vor herrschende Rollenverteilung in der Familie, doch muss der Hochschulbereich auch selbst Verantwortung übernehmen.

Die Hochschulrektorenkonferenz hat im Jahre 1990, unterstützt von in dieser Frage engagierten Frauen in vielen Funktionen, Empfehlungen für die Förderung von Frauen im Hochschulbereich erarbeitet und verabschiedet. Wenn wir die Forderungen der damaligen Zeit, heute ansehen, so stellen wir fest, dass vieles in die Tat umgesetzt worden ist. Dies gilt für die Interessenvertretung von Frauen in der Hochschule, gilt für die Tatsache, dass die Besonderheiten weiblicher Biographien bei Auswahlentscheidungen eine größere Rolle spielen, dass Arbeitsverhältnisse für Frauen und Männer etwas - noch nicht ausreichend - familienadäquater ausgestaltet werden können, dass frauenspezifische Studiengänge eingerichtet wurden, dass der weibliche wissenschaftliche Nachwuchs gezielter gefördert wird.

Nicht alles ist in allen Bundesländern mit gleicher Intensität geschehen. Das Tempo der Veränderung erscheint aber nicht nur den Frauen noch nicht ausreichend. Die Hochschulrektorenkonferenz hat gemeinsam mit den Frauenbeauftragten darüber nachgedacht, was getan werden kann, um die Gangart etwas zu erhöhen. Wir haben die Hochschulen gefragt, wo welche Maßnahmen wie erfolgreich waren. Einig ist man sich in der Einschätzung, dass es niemals einzelne Maßnahmen sind, die die Frauenanteile anheben, sondern immer nur aufeinander abgestimmte Maßnahmenbündel:

Gezielte Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, vor allem über das HSP, finanzielle Anreize für die Institute oder Fachbereiche, wenn mehr Frauen qualifiziert, angestellt oder berufen wurden, gezielte Beratung und einschlägige Veranstaltungen.

Wenn wir auf der bisherigen Grundlage noch keinen neuen Maßnahmenkatalog verabschieden können, so wissen wir doch mit Sicherheit, dass eine Fortsetzung frauenfördernder Maßnahmen, wie Frau Bundesministerin Bulmahn zugesagt hat, hohe Bedeutung besitzt. Der Schwerpunkt aller Bemühungen muss auf der Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses liegen. Wir haben nichts gewonnen, wenn Hochschulen sich die wenigen Professorinnen gegenseitig abjagen. Es müssen sich genügend Frauen qualifizieren können, damit die Chance des Generationswechsels ergriffen werden kann, und eine nachhaltige Verbesserung des Frauenanteils stattfindet, die den künftigen Studentinnengenerationen das Bild einer weniger männlich dominierten Hochschule vermittelt als bisher.

Gezielte Förderung, Vergrößerung der Flexibilität bei der Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen, familienadäquate Qualifikationsphasen und ein System der Belohnung einer frauenfördernden Praxis und die spürbare Sanktionierung frauenfeindlichen Verhaltens sind die geeigneten Hebel, um langfristig ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter im Hochschulbereich herzustellen.

Nicht hilfreich wären demgegenüber rein quantitative Quotenregelungen oder Forderungen wie die grundsätzliche paritätische Besetzung von Berufungskommissionen oder die Mitwirkung der Frauenbeauftragten an allen Finanz- und Strukturentscheidungen der Hochschulen sowie die weitere Verschärfung von ministeriellen Interventionsrechten. Derartige Maßnahmen wären geeignet, die Bemühungen um eine Entbürokratisierung und Deregulierung der häufig als verkrustet, bürokratisch und unbeweglich gescholtenen Hochschule wie die Vergrößerung der Finanzautonomie oder die Neuordnung der Leitungsstrukturen zu unterlaufen.

Es wird noch eines längeren Atems bedürfen, um die Chancengleichheit im Hochschulbereich spürbar zu steigern. Das wird einige Anstrengung kosten. Aber schon der römische Philosoph Seneca weiß uns zu trösten: "Anstrengung ist für edle Geister eine Stärkung."


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Christa Cremer-Renz, Klaus Faber
- Prof. Dr. Klaus Landfried
- Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel
- Barbara Stolterfoht

Round-Table 1:
Frauen und Männer in Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Dr. Peter Döge
- Dr. Barbara Hartung
- Dr. Larissa Klinzing
- Dr.-Ing. Karl-Heinrich Steinheimer

Round-Table 2:
Wissenschaft in Ost und West
- Gerd Köhler
- Prof. Dr. Barbara Riedmüller
- Jutta Schmidt
- Klaus Faber
- Tilo Braune