Potsdamer Konferenz - Forum IV

Prof. Dr. Barbara Riedmüller

Chancengleichheit und Strukturumbrüche nach 1990

- Perspektiven der Wissenschaftspolitik -

Die Strukturumbrüche in der ostdeutschen Hochschul- und Forschungslandschaft habe ich direkt miterlebt - 1990 war ich politisch zuständig für die Hochschulpolitik des Landes Berlin und habe später in Brandenburg im Rahmen der Landesstrukturkommission am Aufbau der Universitäten teilgenommen. Dadurch habe ich unterschiedliche praktische Erfahrungen mit dem Prozess der Strukturveränderungen in der Wissenschaftslandschaft nach der Wiedervereinigung gemacht. 1990 ist zwar ein Stichtag für das deutsche Ost-West-Verhältnis, aber schon vorher war das westdeutsche Universitätssystem ziemlich am Ende.

Ich habe im Jahr 1989 als Senatorin für Wissenschaft und Forschung einen heftigen Streik der Studentenschaft der Berliner Universitäten erlebt, die im wesentlichen Strukturreformen forderten. Es war zum Teil erschütternd, was die Gewalttätigkeit gegen Hochschuleinrichtungen zum Ausdruck brachte: Da hatte sich ein sehr großer Frust angestaut. Der Prozess der Neustrukturierung des Wissenschaftssystems, der mit der Einheit begann, traf wie ein Schlaglicht auf das westdeutsche Universitätssystem.

Heute gilt für die gesamtdeutsche Universitätslandschaft: Wir müssen uns ändern, und zwar vom Kopf bis zum Fuße. Ändern heißt, es wird dereguliert, das Verhältnis zwischen Staat und Universität ändert sich. Wettbewerb wird eingezogen, es soll schneller studiert werden. Wir Lehrenden werden evaluiert, wir werden kontrolliert, Controlling und Managing - alles Wörter aus der Ökonomie, vorwiegend aus der Betriebswirtschaft.

Diese neue Denkweise, die das Universitätswesen erfasst hat, markiert einen Wendepunkt in der gesamten bildungspolitischen Debatte. Das gibt es ja in anderen Sektoren auch. Wenn wir diesen Wettbewerbsbegriff, der gemeint ist, ernst nehmen, dann heißt es: Wir bewerben uns, wir konkurrieren untereinander als Universitäten um knappe Ressourcen. Also nicht um Überfluss an Ressourcen, dann würde das Konzept wahrscheinlich gar nicht funktionieren.

Das deutsche Elitensystem ist nicht durchlässiger geworden, weder schicht- noch geschlechtsspezifisch... Die ostdeutschen Eliten sind besonders benachteiligt.

Was kann eigentlich der Maßstab sein, sich bei knappen Ressourcen überhaupt durchzusetzen, wenn von allem zu wenig da ist und die Studenten immer mehr werden? Heute morgen ist dazu schon viel gesagt worden. Einerseits nimmt die Studierneigung zu, der Ost-West-Unterschied ist hier immer noch groß, auch die Geschlechtsspezifik unterscheidet sich hier. Daher ist es von Bedeutung für die Chancengleichheit, wie Hochschulreformen, Markt und Leistungsmessung oder die innere Differenzierung von Hochschulen, gestaltet werden.

Daraus ergibt sich die Frage, wie der Zugang zu den Eliten im Ost-West-Vergleich in den jeweiligen Sektoren aussieht. Da habe ich als gelernte Soziologin bei einer neuen Untersuchung eine Überraschung erlebt: Es hat sich kaum was geändert, die Eliten rekrutieren sich nach wie vor dominant nach sozialer Herkunft. Ich hatte immer gedacht, Bildung sei der wichtigere Faktor geworden. Die Kollegen, die diese empirischen Studien gemacht haben, haben alle Anstrengungen unternommen, die die Wissenschaft verwenden kann, um die Bedeutung des Faktors Bildung nachzuweisen: Er ist ein unbedeutender Koeffizient geblieben, er ist seit 1982 nicht bedeutend gestiegen.

Das deutsche Elitensystem ist nicht durchlässiger geworden, weder schicht- noch geschlechtsspezifisch. Die einzelnen Sektoren sehen dabei unterschiedlich aus. Die ostdeutschen Eliten sind besonders benachteiligt. Sie haben ausschließlich im politischen System einen repräsentativen Anteil erreicht! Das hängt mit dem Regionalsystem zusammen. Besonders im Wirtschaftssystem, aber auch im staatlichen Wissenschaftssystem sind sie unterrepräsentiert. Auffällig ist, dass die Gewerkschaften das durchlässigste System sind, das wir in Deutschland haben. Da gibt es die meisten Aufsteiger, Leute, die nach oben gekommen sind mit Hauptschulabschluss; die gibt es sonst auch in den Parteien nicht mehr.

Dieser Ausflug in die Eliten sagt folgendes aus: Wenn ich in dieser Phase des Umbaus eine positive Einstellung zu den Reformen entwickeln kann, dann muss ich fragen: Wie verhält sich das zu diesem Phänomen der Eliten? Wenn eine Universität die beste Universität werden will, bildet sie dann nur noch Eliten aus? Machen solche Universitäten den Riegel vorne dicht und lassen nur noch die Besten rein, in dem Glauben, dass dann schon auch die Besten rauskommen werden?

Was kann denn Chancengleichheit in diesem Kontext überhaupt heißen? Was haben wir denn für einen Begriff von Chancengleichheit, wenn wir von Wettbewerb, von Leistungsorientierung etc. sprechen? Ich halte es für die Hochschulreform in der Umbauphase für wichtig, dass ein starkes Augenmerk auf die Herstellung von Chancen des Zugangs gerichtet wird. Da gibt es ja einen Fachstreit darüber, ob zum Beispiel die Hochschulen ihre Studierenden selbst auswählen sollen: Kann das Abitur noch ein Eintrittsbillett sein oder nicht?

Man muss sehr genau prüfen, was die Verteilung der Chancen beim Zugang bedeutet. Die regionale Verteilung spielt eine große Rolle: Eine regionale Universität hat eine ganz andere Aufgabe zur Entwicklung der Region, als ich zum Beispiel als Mitglied der Freien Universität Berlin habe. Der Standortfaktor ist da entscheidend. Neben dem Zugang ist in der ganzen Debatte des Umbaus die interne und organisatorische Durchlässigkeit zwischen den Hochschulen wichtig.

Es dürfen keine neuen Barrieren aufgebaut werden zwischen Fachhochschulen und Universitäten, keine neuen Barrieren zwischen den abgestuften Studienabschlüssen Bacheor und Master. Wir müssen darauf achten, dass jemand mit einem Bachelor nicht tatsächlich abgestellt wird in der Besenkammer, von der sie oder er dann nicht mehr weiter kommt. Wie notwendig die Durchlässigkeit innerhalb der Hochschulen ist, wird auch am Beispiel der Frauenförderung deutlich: Die geschlechtsspezifische Verteilung hängt heute weniger mit dem Zugang zusammen.

Es dürfen keine neuen Barrieren aufgebaut werden zwischen Fachhochschulen und Universitäten, keine neuen Barrieren zwischen den abgestuften Studienabschlüssen Baccelor und Master.

Zwischenfrage Christa Cremer-Renz:

Ich habe eine Frage direkt dazu: Wir hatten zu Beginn der Entwicklung der Umstrukturierung bei der Einrichtung von neuen Hochschulen, bei der Einrichtung von neuen Studiengängen und Fachbereichen den hohen Anspruch, zu versuchen, die Personalstruktur der einzelnen Fachbereiche, Fächergruppen, so aufzustellen, dass sowohl Männer als auch Frauen, sowohl Ost und West, jüngere und ältere Kolleginnen und Kollegen integriert werden.

Wir wollten einen Neuanfang ohne alte Fehler. Das ist nur ansatzweise gelungen. Vor allen Dingen war es ein großes Problem, West-Wissenschaftlerinnen zu finden, die bereit waren, diese Aufbauleistung mitzutragen. Gleichzeitig war es, bezogen auf bestimmte Fächergruppen, unendlich schwierig, qualifiziertes Ost-Personal einzuwerben, weil wir immer darauf angewiesen waren, auf die sogenannte Vorbelastung zu schauen. Das musste im Einzelfall nachgeprüft werden. Es war eine unendlich schwierige Aufgabe. Mich interessiert, wie das heute aussieht.

Es ist uns nicht gelungen, strukturelle Reformen in den Aufbau des ostdeutschen Universitätssystems zu implementieren, weil der Widerstand aus dem Westen zu stark war.

Barbara Riedmüller:

Die Ausgangslage war natürlich in den Fächern personell und strukturell unterschiedlich. Es gab Fächer, in denen es praktisch gar kein Ost-Personal gab, wie in der Soziologie zum Beispiel. Das Fach ist völlig neu aufgebaut worden. Es gab Soziologen, aber keine Soziologie, das ist etwas anderes. Natürlich war die personelle Erneuerung ein Problem, aber die strukturelle Frage, das hat mich, als ich beteiligt war an diesem Prozess, besonders deprimiert: Es ist uns nicht gelungen, strukturelle Reformen in den Aufbau des ostdeutschen Universitätssystems zu implementieren, weil der Widerstand aus dem Westen zu stark war.

Das westdeutsche Universitätssystem wurde noch einmal gerettet, mit all seinen frauenfeindlichen Strukturen, seinen Berufungskommissionen, der Selbststeuerung der Wissenschaft. Ich bin zwar eine Anhängerin der Selbststeuerung der Wissenschaft, aber 1990 war dieser Wert zu hoch gehängt. Das war zwar plausibel nach den Erfahrungen in der DDR, wo es gar nicht mehr möglich war, gegen den Mainstream anzugehen. Aber insgesamt führte die Orientierung auf traditionelle Werte der Wissenschaftlichkeit dazu - ich selber war in einigen Berufungsfällen involviert und kann abendfüllende Geschichten erzählen -, dass Frauen gar keine Chance hatten.

Frauen hatten zwar statistisch eine höhere Chance als im Bundesdurchschnitt, aber die Chance, die man gehabt hätte, Fächer neu zu strukturieren, hat man durch die Überschätzung der alten Universitas mit all ihren Fakultäten und Talaren vertan. Ich habe als Senatorin gedacht, mich laust der Affe, als ich zur ersten Immatrikulationsfeier in die Humboldt-Universität kam und die gesamte Professorenschaft stand mir in Talaren gegenüber. Ich hatte 1968 mit dem Studium begonnen und war der Meinung, wir hätten uns damals von dem Muff unter den Talaren befreit.

Einerseits war ich schockiert. Andererseits hatte ich großes Verständnis dafür, dass zum Beispiel an der Humboldt-Universität die aus politischen Gründen - zu konservativ - nach Eberswalde ausgegliederte Forstwirtschaftliche Fakultät wieder in ihre Rechte als Fakultät eingesetzt wurde. Die Restauration war legitim, aber sie hat in der Folge viel Schaden angerichtet. Erstens ist sie genutzt worden, um das westdeutsche System weiter zu stabilisieren. Die Zeit war schon 1990 im Westen reif für eine tiefgreifende Hochschulreform. Und zweitens hat es natürlich Strukturen geschaffen, die unter Finanzknappheit noch stärkere Folgen haben werden, weil man die Aufbauphase nicht konsequent zu Ende führt. Man lebt mit Rumpfuniversitäten, um es drastisch zu sagen. Das finde ich besonders problematisch.


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Christa Cremer-Renz, Klaus Faber
- Prof. Dr. Klaus Landfried
- Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel
- Barbara Stolterfoht

Round-Table 1:
Frauen und Männer in Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Dr. Peter Döge
- Dr. Barbara Hartung
- Dr. Larissa Klinzing
- Dr.-Ing. Karl-Heinrich Steinheimer

Round-Table 2:
Wissenschaft in Ost und West
- Gerd Köhler
- Prof. Dr. Barbara Riedmüller
- Jutta Schmidt
- Klaus Faber
- Tilo Braune