Christine Bergmann
Potsdamer Konferenz - Hauptreferate

Christine Bergmann

Politik für mehr Chancengleichheit in Deutschland

Die Zeitenwende zum neuen Jahrhundert bringt es mit sich, dass man sich fragt: Was haben wir erreicht, wie gehen wir mit den vor uns stehenden Herausforderungen um? Und dass man nach Leitbegriffen sucht, die Orientierung bieten, wenn man die Herausforderungen bewältigen will. Chancengleichheit - das Motto dieses Kongresses - ist ein Leitbild, das uns diese Orientierung verschaffen kann.

Wir leben in einem Rechtsstaat, der allen Bürgerinnen und Bürgern formal gleiche Rechte und Pflichten garantiert. Aber die faktische Wahrnehmung dieser Rechte und Pflichten hängt in einem hohen Maße von der Herstellung der Chancengleichheit ab. Chancengleichheit, das bedeutet in unserer Gesellschaft vor allem: gleicher Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit. Chancengleichheit ist für mich untrennbar verbunden sozialer Gerechtigkeit.

Soziale Gerechtigkeit, die Bereitschaft zu solidarischem Handeln, muss in einem sozialen Rechtsstaat auch über die unmittelbaren zwischenmenschlichen Beziehungen hinaus die sozialen Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen prägen. Denn eine soziale Demokratie kann auf Dauer nur bestehen, wenn sie sich als ein gesellschaftliches Projekt versteht, an dem alle Bürgerinnen und Bürger teilhaben können. Für mich ist soziale Gerechtigkeit, ist sozialer Ausgleich, so etwas wie die Geschäftsgrundlage unserer Demokratie. Das muss auch in Zukunft so bleiben.

Wo der Sozialstaatsgedanke demontiert und seiner Legitimation beraubt wird, werden auch die kulturellen Voraussetzungen der Demokratie in Mitleidenschaft gezogen, besteht die Gefahr, dass sich kriminelle und politische Gewalt ausbreiten und dem Rechtsextremismus das Feld bereitet wird. Natürlich unterliegt auch das, was unter sozialer Gerechtigkeit zu verstehen ist, Veränderungen im Zeitablauf.

Demographische Veränderungen, hohe Arbeitslosigkeit, der Prozess der Globalisierung, die schwierige Haushaltslage des Staates erfordern unvermeidlich auch eine Aufgabenkritik des Sozialstaates, erfordern neue Antworten auf die Frage: was ist sozial gerecht? Auch das, was unter Chancengleichheit zu verstehen ist, muss in einer zeitlichen Dimension gesehen werden. Chancengleichheit betrifft nicht nur die, die heute leben, sondern heißt auch gleiche Chancen für die kommenden Generationen.

Chancengleichheit betrifft nicht nur die, die heute leben, sondern heißt auch gleiche Chancen für die kommende Generationen. Das Postulat der Chancengleichheit wird verletzt, wenn wir eine Politik der Verschuldung weiterbetrieben, die unsere Kinder und Enkel ihrer Zukunftschancen beraubt.

Das Postulat der Chancengleichheit wird verletzt, wenn wir eine Politik der Verschuldung weiterbetreiben, die unsere Kinder und Enkel ihrer Zukunftschancen beraubt. Eine Politik, die auf die Herstellung von Chancengleichheit ausgerichtet ist, muss sich in der Praxis, muss sich am konkreten Beispiel erweisen. Ich denke, dass wir hier schon wichtige Schritte getan haben, zum Beispiel in der Familienpolitik.

Chancengleichheit in bezug auf die Familienpolitik heißt für mich, dass Kinder in unserer Gesellschaft kein Armutsrisiko sein dürfen. Für mich besitzt daher die Verbesserung der materiellen und sozialen Lage von Familien und ihren Kindern einen zentralen Stellenwert. Hier haben wir gehandelt.

Am 1. Januar 1999 wurde das Kindergeld um 30 DM erhöht, zu Beginn des nächsten Jahres kommen noch einmal 20 DM hinzu. Die Senkung des Eingangssteuersatzes kommt gerade Familien mit geringen und mittleren Einkommen zugute. Mit der nächsten Stufe des Familienlastenausgleichs im Jahr 2002 werden weitere Verbesserungen für die Familien folgen. Wir werden dabei an unserem Grundsatz festhalten, der Ausdruck unseres Verständnisses von Chancengleichheit ist: Dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss.

Um Chancengleichheit geht es auch, wenn Jugendliche nach der Schule ins Berufsleben eintreten wollen. Wer Jugendlichen keine Chance beim Berufsstart gibt, zerstört ihre Zukunftshoffnungen. Deshalb dürfen wir uns mit Jugendarbeitslosigkeit nicht abfinden. Aus diesem Grund hat diese Bundesregierung als eine ihren ersten Maßnahmen das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg gebracht.

Für 100.000 Jugendliche wollten wir Ausbildungsplätze und Qualifizierungsmöglichkeiten schaffen. Mittlerweile haben bereits über 180.000 Jugendlichen an dem Programm teilgenommen. Und trotz der bekannten Haushaltszwänge wird das Programm im nächsten Jahr wieder mit 2 Milliarden DM fortgeführt. Das ist für mich eine Politik für mehr Chancengleichheit.

Herstellung von Chancengleichheit heißt für mich aber vor allem gleiche Chancen für Frauen und Männer in unserer Gesellschaft. Noch immer wird die Hälfte die Bevölkerung, nämlich die Frauen, durch Traditionen und Vorurteile gehindert, ihre Fähigkeiten voll in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung einzubringen.

Chancengleichheit von Frauen - das ist kein Luxusthema für rosige Zeiten, sondern das ist eine Bedingung für Innovation und Leistung. Zwar haben sich die Bildungschancen von Frauen drastisch verbessert, zwar haben junge Frauen heute ein erfrischendes Selbstbewusstsein und verfolgen ihre Lebensplanung mit der gleichen Energie und Ausdauer wie junge Männer.

Und doch bleiben Frauen auch heute noch entscheidende Ressourcen vorenthalten, die es braucht, um sozusagen "gleichwertige Wettbewerbsbedingungen" zu haben. Insbesondere die Ressourcen Geld, gesellschaftliche Akzeptanz, Ungebundenheit und Macht sind auch heute noch so ungleich verteilt, dass wir schlechterdings nicht behaupten können, Frauen hätten die gleichen Bedingungen wie Männer.

In der Gleichstellungspolitik geht es aus meiner Sicht um drei entscheidende Kernpunkte: Erstens möglichst vielen Frauen möglichst gute Bildungs- und Erwerbschancen zu ermöglichen, zweitens möglichst viele Frauen in politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verantwortung zu bringen und drittens möglichst viele Frauen von der unseligen Wahl zwischen Karriere und Kindern zu entlasten. Dass die Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung und Erwerbsarbeit für die Gleichstellung von Frauen eine zentrale Rolle spielt, brauche ich sicher nicht näher zu betonen.

Bildung und eigenständiger Verdienst sind für Frauen heute die zentrale Ressource, die nicht nur Selbstbewusstsein, soziale Anerkennung und wirtschaftliche Autonomie bedeutet, sondern bis in das Private hinein die Möglichkeit zu gleichberechtigten Partnerschaften und persönlicher Autonomie stärkt. Den Frauen aus dem Osten brauche ich dies nicht zu sagen, für uns war Erwerbsarbeit selbstverständlich.

Und die nach wie vor hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen in den neuen Bundesländern zeigt, dass sie sich trotz hoher Arbeitslosigkeit nicht aus dem Erwerbsleben herausdrängen lassen. Insgesamt müssen wir feststellen, dass die Voraussetzungen, die Frauen für den Arbeitsmarkt mitbringen, noch nie so gut waren wie heute. Noch nie gab es so viele qualifizierte Frauen.

Chancengleichheit von Frauen ist kein Luxusthema für rosige Zeiten, sondern das ist eine Bedingung für Innovation und Leistung.

55 % der Abiturienten und 52 % der Studienanfänger an Universitäten sind heute Frauen. Inzwischen verfügen mehr erwerbstätige Frauen als Männer über den Abschluss einer Lehre oder Berufsfachschule. Und trotzdem konzentrieren sich die meisten Frauen nach wie vor auf typische Frauenberufe, trotzdem haben wir ein großes Gefälle zwischen dem niedrigen Frauenanteil in zukunftsträchtigen Berufsfeldern und einem extrem hohen Frauenanteil in entweder klassischen oder zunehmend prekären Berufsfeldern. Das beste Beispiel ist gegenwärtig der Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien.

Allein in den letzten drei Jahren sind in der Informationswirtschaft ca. 100.000 neue Arbeitsplätze entstanden - sie ist der Sektor mit der höchsten Wachstumsrate und wird es auch bleiben. Aber Frauen haben zur Zeit an den Auszubildenden in den vier wichtigsten neuen Informationstechnologie-Berufen nur einen Anteil von 13,6 %.

Das heißt faktisch: Sie werden kurzfristig an diesem Boom nur minimal partizipieren können. Hier wollen wir als Bundesregierung gegensteuern. Im Rahmen des verabschiedeten Aktionsprogramms "Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts" werden wir Frauen gezielt fördern. Wir haben uns vorgenommen, den Frauenanteil an IT-Berufsausbildungen und an den Informatikstudiengängen bis zum Jahr 2005 auf 40 % zu steigern.

Im Rahmen der Bundesinitiative "Deutschland 21 - Aufbruch in das Informationszeitalter" arbeiten wir in meinem Haus eng mit Unternehmen wie IBM, Hewlett Packard und debis zusammen, um junge Frauen für den IT-Bereich zu gewinnen. Konkrete Projekte werden in Angriff genommen wie z.B. die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen für junge Frauen. Wir dürfen als Frauen diese wegweisende Entwicklung nicht verschlafen, das halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe.

Ich komme zu meinem zweiten Kernpunkt in der Gleichstellungspolitik: Wir wollen möglichst viele Frauen in verantwortungsvolle Positionen bringen. Dies bedarf einer Politik des langen Atems, gekoppelt mit besseren Interventions- und Sanktionsmöglichkeiten zugunsten der Integration von Frauen nicht nur in Spitzenpositionen der Wirtschaft, sondern auch in der Politik, in der Wissenschaft, in den Verbänden.

Die Zahlen sind bekannt: In den Führungspositionen der deutschen Wirtschaft beträgt der Frauenanteil im oberen Management nur rd. 6 %. Im Hochschulbereich beträgt der Anteil der Frauen an den Professuren gerade 9 %, bei den C-4-Professuren sogar nur 5,5 %. In der Bundesverwaltung sind nur 10 % der Referatsleiterstellen von Frauen besetzt, bei den Abteilungsleitungen sind es gar nur 1,3 %.

Ich weiß: Vielen erscheinen der Prozess, mehr Frauen in führende Positionen zu bringen, unendlich lang und mühselig, aber wir sollten auch nicht vergessen: Über die Zeiten betrachtet haben wir Frauen in den letzten Jahren und Jahrzehnten doch eine ganze Menge erreicht.

In der alten Bundesrepublik sind Frauen erst vor 46 Jahren überhaupt voll geschäftsfähig geworden. Und: Es ist noch keine 40 Jahre her - genauer gesagt 38 -, dass die erste Frau in ein bundesdeutsches Kabinett berufen wurde. Erst vor 17 Jahren wurde die erste Frauenforschungsprofessur eingerichtet und damit ja auch der Kampf um die Männerbastion Universität intensiviert.

Und erst vor sieben Jahren hat sich die Evangelische Kirche zur Berufung einer Bischöfin entschlossen. Diese Geschichte werden wir weiterschreiben, da bin ich optimistisch: Es wird dieses erste Mal noch häufig geben im nächsten Jahrtausend. Wir sind gespannt auf die erste Vorstandsvorsitzende eines deutschen Großkonzerns, die erste Bundespräsidentin, die erste Bundeskanzlerin und so weiter - und wir starten und unterstützen Initiativen, die darauf abzielen, aus Utopien konkrete Realitäten zu machen.

Im Rahmen unseres Programms "Frau und Beruf", das wir im Juni verabschiedet haben, hat sich die Bundesregierung explizit verpflichtet, Frauen in Führungspositionen zu stärken. Dies wollen wir zum einen durch eine Verbesserung des Bundesgleichstellungsgesetzes erreichen, durch die Verpflichtung zur paritätischen Berufung von Frauen im Rahmen des Bundesgremiengesetzes, schließlich aber auch durch Regelungen für die private Wirtschaft.

Es hat um diese gesetzlichen Regelungen für die Privatwirtschaft in den vergangenen Monaten viel Wirbel gegeben. Tatsache ist: Teile des Arbeitgeberlagers sind skeptische und deshalb wenig engagierte Kooperationspartner bei der Ausformulierung unserer Vorschläge. Aber ich kann Ihnen versichern, wir werden hier nicht locker lassen.

Frauenförderung ist Wirtschaftsförderung. Das zeigen die Beispiele anderer Länder, wo das hohe Qualifikationsniveau von Frauen und eine steigende Erwerbstätigkeit Katalysatoren für eine dynamische Wirtschaft sind. So sind z. B. in den USA gerade die qualifizierten und gut bezahlten Arbeitsplätze, die neu geschaffen wurden, von Frauen besetzt worden. "Das Job-Wunder ist weiblich" lautet das Fazit in den USA.

Die deutsche Wirtschaft entdeckt das Potential von Frauen erst langsam, wobei wir nicht verschweigen sollten, dass es positive Beispiele gibt, gerade in den Großunternehmen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir alles daran setzen werden, den Unternehmen, die hier noch Nachholbedarf haben, dabei unter die Arme zu greifen!

Wir wollen möglichst viele Frauen in verantwortungsvolle Positionen bringen: Wir sind gespannt auf die erste Vorstandsvorsitzende eines deutschen Großkonzerns, die erste Bundespräsidentin, die erste Bundeskanzlerin und so weiter - und wir starten und unterstützen Initiativen, die darauf abzielen, aus Utopien konkrete Realitäten zu machen.

Mein dritter Punkt betrifft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die bisherige fast vollständige Verlagerung aller Verantwortlichkeiten in der Familie auf die Frauen muss überwunden werden. Wir werden bessere Hebel finden müssen, damit mehr Männer sich an der Familien- und Erziehungsarbeit beteiligen. Denn wenn wir das Thema "Frau und Beruf" voranbringen wollen, dann gehört dazu auch das Thema "Mann und Familie".

Der Soziologe Ulrich Beck hat die bestehende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei den Männern als "verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" gekennzeichnet. Wir wollen, dass es dabei nicht länger bleibt. Heute nehmen nur 1,5 % der Väter den Erziehungsurlaub in Anspruch.

Wir werden in Kürze einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen, der eine gleichzeitige Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs durch beide Partner möglich macht, verbunden mit der Möglichkeit, weiterhin bis zu 30 Stunden pro Woche Teilzeit zu arbeiten. Wir wollen damit den Erziehungsurlaub so flexibel gestalten, dass aus ihm wirklich ein Elternurlaub wird. Und wir werden eine Kampagne zur stärkeren Einbeziehung von Männern in die Erziehungsarbeit starten.

Damit wollen wir das öffentliche Bewusstsein verändern, die finanziellen, rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen für Väterverantwortung verbessern, und Vätern, die guten Willens sind, Angebote zur Umsetzung ihrer guten Vorsätze machen. Aber der Erziehungsurlaub allein löst natürlich nicht die Probleme von Frauen.

Wir brauchen, speziell in den alten Bundesländern, einen Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Trotz aller Notwendigkeit zum Sparen in den öffentlichen Haushalten muss das öffentliche Kinderbetreuungsangebot in den nächsten Jahren verbessert werden, damit Frauen nicht vor die Alternative Beruf oder Familie gestellt werden. Das ist eine Aufgabe, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam zu bewältigen haben.

Diese eben genannten Kernpunkte müssen uns über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus auch eine gesamteuropäische Orientierung sein. Zunehmend werden wir die Institutionen, Gremien und die Rechtsprechung der Europäischen Union in Anspruch nehmen, um nationale Gleichstellungspolitik durchzusetzen. Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai diesen Jahres gibt es nun zum ersten Mal ein grundsätzliches positives Bekenntnis zu einer europäischen Gleichstellungspolitik - und ein weitreichendes Instrumentarium für ihre Durchsetzung.

Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist nun explizit im Aufgabenkatalog der Gemeinschaft verankert, mehr noch: Es sind auch aktive Maßnahmen zur Förderung von Frauen in der Privatwirtschaft wie im staatlichen Kontext benannt. Und schließlich müssen jetzt sämtliche Tätigkeiten der EU unter der Maßgabe der Verwirklichung von Gleichstellung geprüft werden.

Hier hat sich das durchgesetzt, was wir "Gender-Mainstreaming" nennen. Gender-Mainstreaming ist keine leere Worthülse, sondern eine zentrale Strategie, mit der einerseits der immer wieder drohenden Gefahr frauenpolitischer Ghetto-isierung begegnet werden kann, andererseits Frauenpolitik durchsetzungsstark praktiziert werden kann. Mit dem Konzept des Mainstreaming wird signalisiert, dass Frauen ihren Platz nicht immer nur in bereits vordefinierten Kontexten finden wollen, sondern dass sie tatsächlich eine neue Politik wollen, in der die Anliegen von Frauen keine Sonderaufgabe mehr sind.

Aber: Dieses Mainstreaming kann nur funktionieren, wenn Frauen eine "kritische Masse" in allen Institutionen und bei allen gesellschaftlichen Planungen bilden.

Trotz aller Notwendigkeit zum Sparen in den öffentlichen Haushalten muss das öffentliche Kinderbetreuungsangebot in den nächsten Jahren verbessert werden, damit Frauen nicht vor die Alternative Beruf oder Familie gestellt werden.

Zu einer Politik für mehr Chancengleichheit gehört für mich aber auch, dass wir Frauen immer wieder kritisch hinterfragen, was die männliche Geschlechterordnung uns vor Augen führt. Kann der Anspruch auf Gleichstellung sich darin erschöpfen, für eine imposante Karriere genauso unsoziale 16-Stunden-Tage investieren zu müssen, genauso beim Spagat zwischen Familie und Beruf es niemandem Recht zu machen (uns selbst am allerwenigsten), genauso um Macht und Einfluss kämpfen zu müssen?

Sicher, Frauen müssen sich in diesem System behaupten. Aber doch hoffentlich auf dem Weg hin zu einer Gesellschaft, in der sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzieht - und nicht nur Frauen vormals von Männern besetzte Positionen einnehmen. Eine Gesellschaft, in der Bedürfnisse nach Sozialität, Familie, Kindern und Gemeinschaft eher in Einklang zu bringen sind mit Bedürfnissen nach Einfluss, Macht, professioneller Anerkennung und sozialer Autonomie - und zwar für Männer und für Frauen.

Frauen müssen sich einmischen, wenn es z. B. um innovative Modelle der Umverteilung von Arbeit und Arbeitszeiten geht, wenn es um eine neue Zeitkultur geht, die es ermöglicht, im Laufe eines Erwerbslebens Zeiten von Erwerbsarbeit mit Zeiten für Qualifizierung, für Familienarbeit oder persönliche Weiterentwicklung zu verknüpfen. Hier liegen die Rahmenbedingungen, die es zu verändern gilt, wenn wir Chancengleichheit herstellen wollen. Hier müssen Frauen ihre legitimen Interessen und Rechte einfordern.

Gender-Mainstreaming ist keine leere Worthülse, sondern eine zentrale Strategie, mit der einerseits der immer wieder drohenden Gefahr frauenpolitischer Gettoisierung begegnet werden kann, andererseits Frauenpolitik durchsetzungsstark praktiziert werden kann. Mit dem Konzept des Mainstreaming wird signalisiert, dass Frauen eine neue Politik wollen, in der die Anliegen von Frauen keine Sonderaufgabe mehr sind.

Chancengleichheit von Frauen und Männern - das bedeutet eine Umwandlung unserer Kultur, eine Umwandlung tief verankerter Einstellungsmuster und Verhaltensweisen. Die Überwindung der tradierten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mit all ihren Ungerechtigkeiten hat gerade erst begonnen. Wir haben noch einen längeren Weg und auch noch viele Widerstände vor uns.

Aber je mehr sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Chancengleichheit Leistung und wirtschaftlichen Erfolg sichert, umso höher wird die Akzeptanz für dieses Konzept in Wirtschaft und Gesellschaft. Das Ziel lohnt die Mühen, da bin ich sicher. Wir werden nicht nur Wettbewerbsfähigkeit sichern, sondern auch mehr Lebensqualität hinzugewinnen, wenn Männer und Frauen gleichberechtigt ihre Kompetenzen und Erfahrungen in unsere Gesellschaft einbringen können.


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Einführung/Kongressleitung
- Holger Lührig

Plenum, 11. November 1999
- Tilo Braune
- Christine Bergmann
- Steffen Reiche
- Prof. Dr. Rolf Kreibich

Plenum, 12.November 1999
- Wolf-Michael Catenhusen
- Gabriele Behler