Potsdamer Konferenz - Forum IV

Barbara Stolterfoht

Chancengleichheit an den Hochschulen

- Beispiel Hessen: Rückblick und Ausblick -

Prolog: Ist Frauenförderung entbehrlich? Gibt es in der Politik und parteiüber-greifend bei den Frauen ein Bewusstsein hinsichtlich der Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb? Eine Debatte im Hessischen Landtag erhellt schlaglichtartig unterschiedliche Positionen: Die rot-grüne Landesregierung hatte der Frauenuniversität im Rahmen der Expo 2000 Förderung zukommen lassen für das Projekt "Stadt" an der Universität Gesamthochschule Kassel. Die neue Wissenschaftsministerin (Ruth Wagner, F.D.P.) hatte jedoch die das hessische Projekt betreffenden Zuschüsse gestrichen und damit seine Durchführung akut gefährdet.

Natürlich führte dies zu einer Diskussion im Landtag, weil meine Fraktion einen Antrag eingebracht hatte, diese Kürzungen rückgängig zu machen. Die Debatte entfernte sich dann rasch vom eigentlichen Anlass - es ging um Frauen im Wissenschaftsbetrieb: Weitzel (Grüne): "Die Luft für Frauen im Wissenschaftsbetrieb sei immer noch dünn - auch das haben Sie einmal oder sogar öfter gesagt, Frau Wagner. Da müsse etwas getan werden. Aber jetzt, da Sie selbst in der Regierungsverantwortung stehen, sieht es ganz anders aus. Da machen Sie nämlich die Luft noch dünner, Frau Wagner. Oder soll ich lieber sagen, Sie drehen gleich den Lufthahn ab? Sie haben auch einmal gesagt, Sie wollen, dass Frauen Spitze werden. Wollen Sie das durch Kürzen statt Fördern erreichen? Wenn das Ihre Vorstellung von Frauenpolitik sind, dann brauche ich mich nicht mehr zu fragen, warum Frauen hier immer noch nicht Spitze sind."

Darauf reagierte eine junge F.D.P.-Abgeordnete mit folgender Aussage: "Das kann doch nicht wahr sein. Und das sage ich Ihnen gerade als Frau. Denn Frauen wie Sie und Argumentationen wie die Ihre eben sind der Grund dafür, dass Frauen meiner Generation, der Generation unter 30, mit der Frauenpolitik, die Sie hier proklamieren, garantiert nichts am Hut haben wollen. Ich kann gleich hinzufügen, das wird auch der Grund dafür sein, dass Sie in Ihrer Fraktion ewig eine Frauenquote haben müssen..." Eine CDU-Abgeordnete, immerhin wissenschaftspolitische Sprecherin der CDU, führte aus: "Damit Sie nicht glauben, das sei eine Frage nur für die junge Generation, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Frau Kollegin, auch Frauen meiner Generation fühlen sich durch Ihre Argumentation beleidigt. Wir müssen nämlich nicht erst durch ein solches Projekt Spitze werden; wir sind Spitze."

Bislang war partei-übergreifend Konsens, dass es nicht die Fähigkeiten und Qualifikationen der Frauen sind, die sie daran hindern, in der Wissenschaft Karriere zu machen, sondern die geschlechtshierarchische Rollenverteilung und die konservativen Denkmuster der Professorenschaft. Konsens war auch, dass dem nur zu begegnen sei durch aktive Fördermaßnahmen. In dieser Debatte jedoch wird eine andere Grundhaltung deutlich, die besser ins neoliberale Weltbild passt und bislang Männern vorbehalten war: "Der Wettbewerb wird's schon richten" - auch zwischen Frauen und Männern, aktive Gleichstellungspolitik ist unnötig. Deutlich wird in diesem kurzen Schlagabtausch aber noch ein weiteres: Auch der sinnvolle Mainstreaming-Ansatz der Europäischen Union kann gegen Frauen gewendet werden - dann nämlich, wenn Mainstreaming so verstanden wird, dass Frauen sich gefälligst an den Universitäten wie eh und je durchzuwursteln haben - ohne Frauenförderung.

In 4 Thesen will ich die derzeitige Situation und mögliche Perspektiven skizzieren.

1. These:

Der novellierte Artikel 3 Grundgesetz und der Amsterdamer Vertrag haben den Weg in die Köpfe und Herzen der Beteiligten des Wissenschaftsbetriebs noch nicht gefunden.

Günstigstenfalls werden die gesetzlich vorgeschriebenen Frauenfördermaßnahmen - Gleichberechtigungsgesetz und das neue Hochschulgesetz - korrekt, aber ohne Enthusiasmus angewandt - wie etwa die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften: Sie sind lästig, aber vorhanden, mithin auch zu beachten. Ungünstigenfalls wird das seit 1994 bestehende Gleichberechtigungsgesetz mehr oder weniger ignoriert. Dies gilt für die Männer.

Es gilt aber auch für Frauen: Dass die Gleichstellung der Geschlechter in der Gesellschaft und an den Universitäten so etwas Selbstverständliches sein müsste wie der soziale Rechtsstaat oder der Föderalismus im Grundgesetz, ist bei den Frauen noch nicht angekommen. Das Bewusstsein fehlt, dass Geschlechtergerechtigkeit nicht männliche Gnade, sondern eine schlichte Selbstverständlichkeit ist. Dieses Selbstbewusstsein und die Selbstverständlichkeit des Anspruchs auf Gleichbehandlung fehlen Frauen insbesondere im Wissenschaftsbetrieb.

2. These:

Universitäten und Hochschulen sind hierarchisch organisierte Institutionen und ungewöhnlich frauenresistent. Geschlechtergerechtigkeit kann daher ohne einen gesetzlichen Rahmen nicht hergestellt werden.

In Hessen gibt es an zwei Punkten eine sehr gute gesetzliche Grundlage: Das eine ist das Hessische Gleichberechtigungsgesetz und das andere das neue Hessische Hochschulgesetz. Das Gleichberechtigungsgesetz sieht vor, dass es Frauenbeauftragte gibt, die die Gleichstellung überwachen, Frauenförderpläne, eine Zielquote und zusätzliche Fördermaßnahmen. Der Begriff Frauenförderpläne ist übrigens nicht sehr gelungen. Die Herablassung gegenüber den Frauen, die unbedingt gefördert werden müssen, ist sprachlich deutlich.

Besser wäre es, von "chancengleiche Personalentwicklung" zu sprechen. Die Zielquote wird formuliert für jeden Bereich, der einen Frauenförderplan aufstellt und nimmt bei der anfänglichen Bestandsaufnahme die tatsächlichen Verhältnisse als Ausgangspunkt für das selbst gesetzte Ziel. Der Frauenförder-plan macht Aussagen darüber, was wie rasch erreicht werden soll. Darüber hinaus muss jeder Frauenförderplan Maßnahmen benennen, die für die Gleichstellung förderlich sind. Schließlich sieht das Gesetz Berichtspflichten gegenüber dem Ministerium vor. Mit diesem System der selbst gesetzten Ziele und einem regelmäßigen Controlling nimmt das Hessische Gleichberechtigungsgesetz ein stückweit Zielvereinbarungen vorweg.

Das hessische Gleichberechtigungsgesetz ist seit 6 Jahren in Kraft. Schon im 1. Berichtszeitraum hat es im Verwaltungsbereich und im Bereich der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen deutliche Erfolge erbracht. Das neue Hessische Hochschulgesetz, verabschiedet im Herbst 1998, ist an manchen Punkten für Hessen revolutionär. Zwar liegt von der neuen konservativ-liberalen Landesregierung bereits eine Novellierung vor (1), und noch ist offen, ob die frauenpolitischen Fortschritte diese Novellierung überstehen.

Dennoch seien sie hier genannt: In § 3 ordnet das Hochschulgesetz die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern allen Hochschulen als originäre Aufgabe zu. Das heißt: Nicht nur Forschung und Lehre, sondern auch die Verwirklichung des Artikels 3 GG gehört zu den Aufgaben der Hochschule.

Das ist nicht nur etwas, auf das frau sich berufen kann und muss: Es ist vor allem eine Zielvorgabe, die handlungsleitend für alle Aktivitäten der Universität werden soll. So ist es denn nur folgerichtig, dass bei der Aufzählung der Aufgaben des Senats von grundsätzlicher Bedeutung auch die Frauenförderpläne genannt werden. Zentral wichtig ist, wie künftig Anreize geschaffen werden, um Frauen mehr Chancen an den Hochschulen zu geben. Der § 93 sieht daher vor, dass ein Entscheidungskriterium bei der Verteilung von Forschungsmitteln die Erfüllung der Frauenförderpläne ist. Das ist ein sehr starker Anreiz, ein goldener Zügel, um die Ziele der Gleichberechtigung zu verwirklichen.

In § 94 geht es um die Zielvereinbarungen, die die Universitäten künftig mit der Landesregierung schließen sollen. Gegenstand solcher Zielvereinbarungen sind auch die Frauenförderpläne. Die Bedeutung dieser Bestimmung liegt darin, dass die gesamte Hochschule sich gegenüber der Landesregierung zur Erfüllung der Frauenförderpläne verpflichtet. Auch das kann wirksam sein, insbesondere dann, wenn den Vereinbarungen ein wirksames Controlling zur Seite steht. Beratung und Mentoring als Frauenfördermaßnahme an den Hochschulen sind ebenfalls vorgesehen - in § 17 allgemein, aber auch da wieder speziell mit Bezug auf Frauen.

Das bedeutet, dass diese wichtige Strategie der Ermutigung von Frauen in Hessen im Hochschulgesetz festgeschrieben ist. Konkretisiert wird die neue Aufgabenstellung der Hochschule in einer Reihe von weiteren Vorschriften: § 12 (Angemessene Frauenbeteiligung in allen Gremien), § 19 (Teilzeitstudium), § 38, Abs. 5 (Die Frauenbeauftragte gehört dem Senat mit beratender Stimme an), § 74 (Angemessene Berücksichtigung von Frauen und Männern bei Auswahlentscheidungen), § 79 (Bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sind Frauenfördermaßnahmen insbesondere dort vorzusehen, wo Frauen unterrepräsentiert sind.)

3. These:

Geschlechtergerechtigkeit wird auf absehbare Zeit nicht ohne besondere Maßnahmen an den Hochschulen herzustellen sein.

Neben allen schon erwähnten Maßnahmen hat in der Vergangenheit das Hochschulsonderprogramm III außerordentlich segensreich gewirkt. 2,9 Mio. DM sind an den hessischen Hochschulen in Habilitationsstipendien, Nachwuchsprofessuren und Forschungsförderung für Frauen geflossen. Dies hätten die Hochschulen ohne das HSP III nicht leisten können, weil die Landesregierung wegen sinkender Steuereinnahmen keine zusätzlichen Mittel in die Hochschulen hat fließen lassen. Die Art und Weise, wie das Nachfolgeprogramm des HSP III gehandhabt werden wird, bietet hoffentlich für die Universitäten und Hochschulen noch mehr Anreize, Frauen an wichtige Positionen zu bringen und Nachwuchsförderung zu betreiben.

Wichtig ist auch die Sichtbarmachung der Leistungen für Frauen in der Forschung. In Hessen geschieht dies beispielsweise über den Lise-Meitner-Preis, mit dem hervorragende Naturwissenschaftlerinnen ausgezeichnet werden, und durch den Elisabeth-Selbert-Preis, der im Wechsel herausragende Leistungen von Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen würdigt. Das wichtigste Programm jedoch, das in Hessen entwickelt worden ist, ist das Mentorinnennetzwerk, wie es in einem Modellversuch an den Hochschulen Darmstadt und Frankfurt erprobt wird.

Die Idee dieses Mentorinnennetzwerkes ist es, insbesondere in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern Studentinnen zusammenzubringen mit Frauen, die schon im Beruf stehen und diese Studierenden beraten und begleiten. Das Programm ist außerordentlich erfolgreich, und ich hoffe sehr, dass es aus dem Stadium des Modellversuchs herauskommt und an allen Universitäten durchgeführt wird. Der § 17 des HHG bietet dazu eine gute gesetzliche Grundlage.

4. These:

Die Erfolge für Frauen an den Universitäten hängen wesentlich ab von der Etablierung und Funktionsfähigkeit von Frauennetzwerken.

Voraussetzung für die Etablierung von Frauennetzwerken sind immer und überall einige entschlossene und machtbewusste Frauen an wichtigen Knotenpunkten der Netzwerke und ein Minimum institutioneller Verankerung. Überall dort, wo es solche institutionellen Kerne und macht-bewusste Frauen an den Knotenpunkten gibt, dort funktioniert es mit der Frauenforschung, der Frauenförderung, der Nachwuchsförderung. Überall, wo es beides nicht gibt, funktioniert es nicht oder unzureichend. Die hessischen Hochschulen sind in diesem Prozess unterschiedlich weit - aber alle sind auf dem Weg.

5. These:

Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit sollten in einer Demokratie selbstverständlicher Bestandteil demokratischer Kultur sein. Für Hochschulen sind sie mehr - nämlich ein unverzichtbarer Motor der Innovation.

Konkurrenzfähigkeit und Qualität unserer Hochschulen hängen künftig wesentlich von ihrer Innovationsfähigkeit und Kreativität ab und so auch davon, ob sie sich öffnen für Frauen, ob sie die Fähigkeiten, die Phantasie, die Intelligenz und das Innovationspotenzial von Frauen nutzen. Universitäten und Hochschulen werden in Zukunft in einem harten Wettbewerb stehen - national und international. Es wird darauf ankommen, sämtliche innovativen Potenziale auszuschöpfen. Dass der Frauen in der Forschung ist vielfältig belegt und belegbar.

Das bedeutet: Hochschulen und Universitäten müssen im wohlverstandenen Eigeninteresse Frauen Chancen geben. Das tun sie bisher nicht. Frauenförderung - verstanden als bewusste Nachwuchsförderung und Potenzialentwicklung - ist unter diesem Aspekt kein Gnadenakt, sondern ein Standort- und Konkurrenzvorteil für Hochschulen. Ich wage die Behauptung, dass schon jetzt die Hochschulen die Nase vorn haben, die die strategische Bedeutung der Frauenförderung als Qualitätsverbesserung begriffen haben.

Wie es nach dem Regierungswechsel in Hessen mit der Frauenpolitik an den Hochschulen weitergeht, ist zur Zeit offen. Die bisherigen Signale der Landesregierung waren wenig ermutigend: Dem Institut für Frauenforschung sind die Mittel um die Hälfte gekürzt worden mit der Perspektive, dass sie auslaufen sollen. Die Internationale Frauenuniversität wird nicht gefördert. Die Frauen-beauftragten sind in ihren Rechten beschnitten worden. Die Professorenmehrheit in allen Gremien wurde wiederhergestellt.

Sie ist erfahrungsgemäß kein Motor der Frauenförderung. Zu hoffen steht, dass liberale Grundsätze und die Tatsache, dass die Wissenschaftsministerin (F.D.P.) eine Frau ist, den Kahlschlag verhindern wird. Ohne Einsatz, Konfliktfähigkeit und Kampf aller Frauen und vieler einsichtiger Männer aber wird die Chancengleichheit an den Hochschulen nicht herzustellen sein: noch nie sind Privilegien ohne Kampf gefallen, noch nie hat Chancengleichheit sich von selbst eingestellt. Also - packen wir's an!

(1) Zum Zeitpunkt der Redaktion war die Novelle eingebracht; zum Zeitpunkt der Drucklegung verabschiedet und rechtskräftig.


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Christa Cremer-Renz, Klaus Faber
- Prof. Dr. Klaus Landfried
- Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel
- Barbara Stolterfoht

Round-Table 1:
Frauen und Männer in Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Dr. Peter Döge
- Dr. Barbara Hartung
- Dr. Larissa Klinzing
- Dr.-Ing. Karl-Heinrich Steinheimer

Round-Table 2:
Wissenschaft in Ost und West
- Gerd Köhler
- Prof. Dr. Barbara Riedmüller
- Jutta Schmidt
- Klaus Faber
- Tilo Braune