Potsdamer Konferenz - Forum IV

Dr.-Ing. Karl-Heinrich Steinheimer

Gender-Mainstreaming-Konzepte im Bereich der Gewerkschaftspolitik

Generell vertritt die Gewerkschaft ÖTV das Prinzip, Probleme vorrangig grundsätzlich und strukturell anzugehen. Nachhaltigkeit wird nur durch Veränderungen zu erreichen sein, die im Kern und bei den Ursachen ansetzen und nicht nur an Symptomen kurieren. Dies gilt auch für die Wissenschafts- und Forschungspolitik und für die Geschlechterproblematik. D. h., die ÖTV favorisiert das Gender-Mainstreaming-Konzept gegenüber lediglich auf kurzfristigen Erfolg angelegten Sonderprogrammen und -maßnahmen.

Für die Hochschul- und Forschungspolitik bedeutet dies, dass wir sowohl die eigenen Konzepte und Vorschläge als auch die Vorlagen und Vorhaben von anderer Seite im Hinblick auf Chancengleichheit und Gleichstellung überprüfen. Als Beispiele seien genannt: unsere Papiere zur Struktur des tertiären Bildungsbereiches, zur Reform der Personalstruktur an Hochschulen, zur Studiengestaltung oder unsere Stellungnahme zur HRG-Novelle.

Wenn von Gender-Problematik im Wissenschaftsbereich - darunter verstehen wir die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ihrer Gesamtheit - die Rede ist, wird dies meistens bewusst oder unbewusst auf die wissenschaftlichen Beschäftigten beschränkt. Ich will mich deshalb als Erstes ganz bewusst dem technischen, Bibliotheks- und Verwaltungspersonal zuwenden. Auch bei diesem Personenkreis gibt es eine systematische strukturelle Benachteiligung von Frauen. Der Grund dafür liegt vor allem in den nach wie vor bestehenden Hierarchien, die von Seiten derer, die die "Vorgesetztenposition" einnehmen (meist Männer), gezielt erhalten werden wollen.

Es ist deshalb dringend erforderlich, im Zusammenhang mit der Einführung neuer Steuerungsmodelle in den wissenschaftlichen Einrichtungen auch Hierarchien abzubauen und den Übergang zu zeitgemäßen kooperativen Arbeitsformen zu vollziehen. Die Diskriminierung von Frauen und von "typischen" Frauentätigkeiten ist aber auch in den bestehenden Tarifverträgen verankert. Ich weiß, dass ich jetzt die Tarifverträge kritisiere, an denen die ÖTV als Tarifvertragspartei selbst beteiligt ist. Man / frau muss sich aber vergegenwärtigen, in welcher Zeit diese entstanden sind. Kollegin Schmidt wird in ihrem Beitrag darauf eingehen, wie die ÖTV dieses Problem sieht und wie sie damit umgeht.

Ein anderer Aspekt betrifft die berufliche Bildung. In modernen Berufen der Zukunftsbranchen, nicht nur in den "High-Tech-Berufen", sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Gewiss ist das auch ein Problem hergebrachter gesellschaftlicher Denkmuster. Aber es muss sich gleichwohl bei der Gestaltung der beruflichen Bildung sowie bei der Werbung für eine solche Ausbildung und bei der Berufsberatung einiges tun. Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die Ausbildung in solchen Berufen durchführen, sollten dies als eine ihrer Aufgaben akzeptieren und sich der Angelegenheit gezielt annehmen.

Probleme des wissenschaftlichen Personals sind vornehmlich in der Personalstruktur und in den Qualifizierungswegen der Wissenschaftler(innen) begründet. Sie betreffen nach unserer Auffassung bei den grundlegenden Dingen Frauen und Männer gleichermaßen. Wir haben dies aufgegriffen und schon im vorigen Jahr ein Konzept für eine neue Personalstruktur an modern organisierten Hochschulen zur Diskussion gestellt(1). Darin werden auch andere Qualifizierungsmöglichkeiten bis zur Hochschullehrerin vorgeschlagen. Unsere Vorstellungen stimmen im Wesentlichen mit den von der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleich-stellungsbeauftragten an Hochschulen vorgelegten Empfehlungen überein. Ich will hier nicht näher darauf eingehen, das kann nachgelesen werden.

Aber eine Bemerkung sei erlaubt: Der jetzige Arbeitsstand der "unabhängigen Expertenkommission des BMBF zur Dienstrechtsreform" und die daraus erkennbar zu befürchtenden Empfehlungen können nicht befriedigen. Sie laufen wohl darauf hinaus - von der leistungsorientierten Bezahlung der Professor(inn)en einmal abgesehen -, zwar die Assistenzprofessur einzuführen (Das ist sehr in Ordnung.); aber sonst soll wohl alles beim Alten belassen werden, einschließlich der schmalspurigen Karriere zum/zur Professor(in), der Hierarchien, der persönlichen Abhängigkeiten, des Beamtenstatus und der Undurchlässigkeit des Systems. Lassen Sie uns versuchen, alle diejenigen, die an einer weitergehenden Lösung interessiert sind, zusammenzubringen, um Einfluss auf den politischen Prozess zu nehmen.

Aber: Neue Regelungen müssen auch umgesetzt werden. Da bedarf es noch erheblicher gemeinsamer Anstrengungen, um bestehende Verhaltensmuster zu überwinden. Ich will dies exemplarisch am Beispiel von Berufungen belegen. Solange in Berufungskommissionen die Professoren deutscher Prägung und ihnen Gleichgesinnte dominieren, werden Frauen bewusst oder unbewusst, vorsätzlich oder nicht, benachteiligt werden. Und sei es über Kriterien für eine Berufung oder zur Bewertung wissenschaftlicher Leistungen und Qualifikationen. Das bedeutet, es muss auch in der Handhabung und Anwendung alter oder neuer Regelungen etwas geändert werden. Ein Beispiel: Wenn neue Qualifizierungswege und die überkommene Habilitation gleichberechtigt nebeneinander stehen, bedarf es sicher der gezielten und massiven Unterstützung des Neuen; auch durch materielle Anreize und in der Übergangsphase durch Förderprogramme.

Mit der Durchsetzung der Chancengleichheit muss schon vor und während des Studiums begonnen werden. Dies betrifft die Studienberatung und die Gestaltung der Studiengänge. Bei der Über- und Neuerarbeitung von Studiengängen sollten aus inhaltlicher Sicht ganzheitliche Konzepte und problemorientierte Ansätze stärker beachtet werden sowie alternative methodische Umsetzungen Eingang finden. In organisatorischer Hinsicht kommen ein modularer Aufbau mit studienbegleitenden Prüfungen sowie die gestuften Abschlüsse den spezifischen Interessen von Frauen in besonderer Weise entgegen. Darüber hinaus muss aber die Durchlässigkeit noch weiter gesichert und den individuellen Biografien und Bedürfnissen, wie zum Beispiel durch das Abgehen vom "normalen" Vollzeitstudierenden, besser entsprochen werden.

Das Bemühen des BMBF, auch den außerhochschulischen Forschungseinrichtungen in Bezug auf Chancengleichheit und Gleichstellung auf die Sprünge zu helfen, ist zu loben. Fraglich erscheint allerdings, ob diese Anstöße ausreichen werden. Dem Anliegen könnte deutlich mehr Nachdruck verliehen werden, wenn in allen Einrichtungen die Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten per Gesetz verankert und mit Rechten ausgestattet wären, wie dies wie jetzt schon in den Hochschulen aufgrund der Hochschul- und Gleichstellungsgesetze der Bundesländer der Fall ist.

Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die außerhochschulischen Forschungseinrichtungen in den gesetzlichen Geltungsbereich des Gleichstellungsgesetzes des Bundes einzubeziehen, wie dies von den beiden in dieser Frage zuständigen Ministerinnen als Absicht geäußert wurde. Nach unserer Auffassung sollten die Gleichstellungsbeauftragten von den Frauen jeder Einrichtung gewählt werden, ihre Tätigkeit hauptamtlich ausüben und auch strukturell in die legislativen und exekutiven Entscheidungen einbezogen werden.

In der heutigen Situation sind sicher Sonderprogramme zur Durchsetzung von Gleichstellung und Frauenförderung nach wie vor erforderlich. Aber sie bergen auch die Gefahr in sich, dass Chancengleichheit und Gleichstellung in Sonderprogramme abgeschoben und auf diese beschränkt werden. Sie dann aus einer solchen Alibi-Funktion wieder herauszuholen, ist nicht so einfach. Wir unterstützen deshalb die neuen Ansätze des BMBF, Chancengleichheit und Gleichstellung strukturell anzugehen und das Vorhaben in allen Teilen von Gesetzen und Programmen, auch in finanzieller Hinsicht, zu verankern. Dasselbe gilt für die Vorschläge des Wissenschaftsrates zur Chancengleichheit vom Mai 1998. Dies deckt sich mit unserer Ansicht, dass grundsätzliche Erfolge und positive Entwicklungen nachhaltig nur durch strukturelle Veränderungen erreicht werden können - also durch den Gender-Mainstreaming-Ansatz.

Appelle und Reden allein werden in vielen Hochschulen und Forschungseinrichtungen nur eine begrenzte Wirkung erreichen. Erfolge und Anstrengungen zur Realisierung von Chancengleichheit und Gleichstellung müssen sich materiell und ideell für die einzelne Hochschule und Forschungseinrichtung und für deren Gliederungen bemerkbar machen. Als Maßnahmen und Erfolge in der Gleichstellung und Frauenförderung sind dabei nicht nur diejenigen anzusehen, die explizit als solche benannt werden. Auch implizite Dinge müssen berücksichtigt werden.

Ich denke dabei z. B. an die oben erwähnte Neugestaltung von Studiengängen, an die Gestaltung der Qualifikation junger Wissenschaftlerinnen oder an die erwähnte Berufsausbildung. All dies ist auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung und Frauenförderung zu planen, abzurechnen und zu bewerten. Auch die Akkreditierung und die Evaluierung von Hochschulen, Fachbereichen und Studiengängen muss unter Gender-Mainstreaming-Gesichtspunkten erfolgen. Positives und Negatives müssen transparent gemacht sowie honoriert oder sanktioniert werden. Die Festlegungen des HRG, die Finanzzuweisung an die Hochschulen auch nach Kriterien zur Durchsetzung der Gleichstellung vorzunehmen, muss tatsächlich umgesetzt werden.

Diese Punkte sollten Teil der Vereinbarungen sein, mit denen die Hochschulen und ihre Gliederungen gesteuert werden und über deren Erfüllung sie öffentlich Rechenschaft ablegen müssen. Dabei sind Bemühungen, den status quo zu verbessern, angemessen zu honorieren. Nicht unbedingt nur, wenn sie erfolgreich waren, sondern gegebenenfalls auch dann, wenn ernsthafte Anstrengungen nicht zum gewünschten Ziel geführt haben. ,"Kopfgelder" - so zeigen Erfahrungen -, die "im Vorbeigehen" mitgenommen werden, bringen aber keine Fortschritte.

Fußnote:
1 Gewerkschaft ÖTV: Diskussionsgrundlage - Vorschläge für eine neue Personalstruktur an Hochschulen, insbesondere im wissenschaftlichen Bereich; Hannover, 03. März 1998


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Christa Cremer-Renz, Klaus Faber
- Prof. Dr. Klaus Landfried
- Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel
- Barbara Stolterfoht

Round-Table 1:
Frauen und Männer in Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Dr. Peter Döge
- Dr. Barbara Hartung
- Dr. Larissa Klinzing
- Dr.-Ing. Karl-Heinrich Steinheimer

Round-Table 2:
Wissenschaft in Ost und West
- Gerd Köhler
- Prof. Dr. Barbara Riedmüller
- Jutta Schmidt
- Klaus Faber
- Tilo Braune