Potsdamer Konferenz - Forum IV

Klaus Faber

Wissenschaftslandschaften in Ost und West

- Chancengleichheit, Innovationsanstöße und innerdeutscher Standortwettbewerb -

Die Standortdefizite der ostdeutschen Bundesländer gegenüber Westdeutschland etwa in der Wissenschaft und Forschung werden in einem Teil der Medien und auf einigen Fachveranstaltungen ab und zu erörtert. Man kann aber nicht sagen, die Fragestellung sei auf der nationalen Ebene durchgehend präsent. Fach- und Wissenschaftskongresse, die sich mit struktur- oder wissenschaftspolitischen Problemen überregionalen Zuschnitts befassen, sind in Deutschland, zehn Jahre nach den Wendeereignissen, durchaus in der Lage, keinerlei ostspezifische Debattenthemen aufzugreifen und die Ost-West-Unterschiede ganz auszublenden.

Auch der Standort Berlin schützt nicht automatisch vor einem selektiven Sehen, wie wir ab und zu erleben dürfen. Ein derartiges Ausblenden stellt übrigens selbst einen politischen Faktor dar. Manche erhoffen sich einiges von der neuen Berliner Republik. Es wäre erfreulich, wenn der neue Zeitphasenname, der sich offenbar durchsetzt, wenigstens in einem Punkt für positive Veränderungen stehen würde: für die bessere Wahrnehmung der immer noch bestehenden Unterschiede zwischen den beiden Teilen Deutschlands, die - hoffentlich - bald nicht mehr mit den Begriffen "alt" und "neu" beschrieben werden können.

Die ost-west-deutschen Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung, bei den Arbeitslosenzahlen oder in der politischen Stimmung, wie sie nicht nur in Wahlen sichtbar wird, sind - im Groben - auch im Westen bekannt. Weniger gut bekannt sind andere Aspekte, wie etwa der "Wendeknick" in den Geburtenzahlen, die damit verbundenen Auswirkungen auf die ostdeutschen Schulen oder insgesamt die Schulverhältnisse und die Wissenschaftsbedingungen in Ostdeutschland.

Alle diese Faktoren, die immer noch zwei verschiedene Welten kennzeichnen, haben auch etwas mit der Forderung nach Chancengleichheit und mit ihrer Verwirklichung zu tun, und zwar unter allen denkbaren Teilgesichtspunkten von Chancengleichheit, z. B. im Geschlechter- oder Generationenverhältnis und in der sozialen oder regionalen Zuordnung.

Annähernd 20 % der gesamtdeutschen Bevölkerung leben in Ostdeutschland. Ostdeutschland verfügt aber nur über ca. 5 % des gesamtdeutschen Potenzials in der Wirtschaft und nur über ungefähr 2 % des entsprechenden Forschungs- und Entwicklungspotenzials.

Zwei Drittel aller Ostdeutschen haben nach 1990 ihren ursprünglichen Arbeitsplatz verloren. Viele haben bis heute keine Arbeit wiedergefunden, obwohl nach dem jeweiligen Lebensalter eine Wiederaufnahme der Arbeit durchaus noch möglich gewesen wäre oder ist. Annähernd 20 % der gesamtdeutschen Bevölkerung leben in Ostdeutschland, das etwa ein Drittel des deutschen Territoriums umfasst. Ostdeutschland verfügt aber nur über ca. 5 % des gesamtdeutschen Potenzials in der Wirtschaft und nur über ungefähr 2 % des entsprechenden Forschungs- und Entwicklungspotenzials. Das damit im Wissenschaftsbereich beschriebene Defizit ist vor allem auf den Zusammenbruch der ostdeutschen Industrieforschung zurückzuführen.

Von etwa 86 000 in der ostdeutschen industrienahen Forschung und Entwicklung Beschäftigten sind 1997 rund 16 000 übriggeblieben. Die Zahlen haben sich seitdem nicht durchgreifend verbessert. In Betrieben, die von der früheren Treuhand betreut wurden, ging die Zahl derjenigen Arbeitsplätze, die der Forschung und Entwicklung zugeordnet waren, schneller zurück als diejenige der übrigen Arbeitsplätze. Es gibt dafür einen strukturellen Grund, der auch bei der drastischen Reduzierung der gesamten ostdeutschen Industrieforschung eine wichtige Rolle spielt.

Unternehmen, die größere ostdeutsche Betriebe erwerben wollen oder erworben haben, verfügen an ihren Standorten in Westdeutschland oder im westlichen Ausland oft bereits über Forschungs- und Entwicklungspotenziale. Sie sind häufig weder daran interessiert, derartige Kapazitäten zu erwerben, noch sie fortzuführen oder gar auszubauen. Kleinere und mittlere Unternehmen weisen in vielen Fällen noch nicht die erforderliche Betriebsgröße auf oder sind wirtschaftlich noch nicht ausreichend gesichert, um sich die dauerhafte Einrichtung von Forschungspotenzialen leisten zu können. An diesen Strukturbedingungen kann die beste staatliche Förderung der Industrieforschung jedenfalls kurzfristig nichts ändern.

Man muss an dieser Stelle ein mögliches Missverständnis ausräumen: Staatliche und andere Förderprogramme für den Aufbau von Forschung und Entwicklung in den ostdeutschen Betrieben sind unter gewissen Voraussetzungen durchaus notwendig und sinnvoll. Sie verhindern einen weiteren Rückgang der ostdeutschen Potenziale und fördern von einem niedrigen Ausgangspunkt aus - im besten Fall - ein langsames Wachstum. Die Lücke, die der Zusammenbruch der ostdeutschen Industrieforschung gerissen hat, können sie aber nicht füllen. Hier kommt dem Ausbau der öffentlich geförderten oder öffentlich getragenen Wissenschaftseinrichtungen - der Hochschulen und der Forschungsinstitute - eine strategische Auffangfunktion zu.

Deutschland ist bekanntlich ein föderaler Staat, was auch in politischen Debatten zum Kernbereich länderstaatlicher Zuständigkeiten, zu dem Bildung und Wissenschaft gehören, überraschend häufig nur geringe Aufmerksamkeit findet. Als Akteure spielen in der Wissenschaft neben dem Bund sechzehn Länder und darüber hinaus, bei wachsender Autonomie in zunehmendem Umfang, die einzelnen Hochschulen eine Rolle.

Der Stand der Entwicklung in den ostdeutschen Wissenschaftslandschaften bedarf deshalb differenzierter Bewertung. Die Mehrheit der ostdeutschen Länder wird nur in begrenztem Umfang den Anforderungen an eine Infrastrukturpolitik gerecht, die zum Ausgleich der Auswirkungen des Rückgangs in der Industrieforschung erforderlich ist.

Die Mehrheit der ostdeutschen Länder wird nur in begrenztem Umfang den Anforderungen an eine Infrastrukturpolitik gerecht, die zum Ausgleich der Auswirkungen des Rückgangs in der Industrieforschung erforderlich ist.

Einen Indikator für die Bewertung der Anstrengungen bilden die prozentualen Anteile, die den Wissenschaftsausgaben am Gesamthaushalt der einzelnen Länder zukommen. Den höchsten Stand, in der Nähe von 10 %, erreicht im Vergleich der Flächenstaaten Sachsen. Das ist sicherlich auch eine Folgewirkung der Schwerpunktbildung in der DDR-Wissenschaftsstruktur, einer Schwerpunktbildung in Sachsen und Berlin, die zum Teil auf älteren Grundlagen beruht - und nicht etwa allein oder überwiegend das Verdienst der Politiksteuerung nach 1990.

Auch in Sachsen wachsen die Bäume nicht in den Himmel, wie die alljährlichen Auseinandersetzungen um den Wissenschaftshaushalt zeigen. Alle anderen ostdeutschen Flächenstaaten - Berlin kann hier nicht in den Vergleich einbezogen werden - haben allerdings deutlich geringere Haushaltsanteile für Wissenschaft und Forschung. Ich will die Rangfolge nicht im einzelnen schildern, die sich in der Platzierung von Jahr zu Jahr auch ändern kann und weniger aussagekräftig ist als die Beschreibung eines Gruppentrends.

Sachsen-Anhalt hatte, um ein Flächenstaatsbeispiel herauszugreifen, in seiner zweiten Legislaturperiode, von 1994 bis 1998, die Wissenschaftsanteile am Haushalt prozentual und absolut kontinuierlich gesteigert. 1998 wurde der seit 1990 bislang höchste Anteilsstand erreicht. Einen wesentlichen Beitrag hatte dabei die Erhöhung der Hochschulbaufinanzierung, einer Gemeinschaftsfinanzierung, bei der das Land und der Bund jeweils die Hälfte der Kosten tragen.

Man muss in diesem Kontext berücksichtigen, dass im ersten Jahr der zweiten Legislaturperiode, 1994, Sachsen-Anhalt beim Hochschulbau den letzten Platz unter sechzehn Ländern belegte, einen Platz, den es inzwischen längst verlassen hat. Diese negative Entwicklung hat übrigens in der Landespolitik vor 1994 erstaunlicherweise kaum eine Rolle gespielt - ein Sachverhalt, der vielleicht etwas, wiederum negativ, über den landespolitischen Stellenwert der Wissenschaftspolitik aussagt.

Ein Anteil von weniger als 6 % der Wissenschaftsausgaben am Landeshaushalt - neuerdings wieder abnehmend - gibt Sachsen-Anhalt auch nach den Steigerungen von 1994 bis 1998 keine Spitzenposition, weder in Ostdeutschland, noch bundesweit. Mit Sachsen-Anhalt in der Größenordnung vergleichbare, zum Teil noch kleinere Haushaltsanteile weisen die übrigen ostdeutschen Flächenstaaten auf. Zu ähnlichen Ergebnissen führt ein Ländervergleich der Pro-Kopf-Ausgaben für Wissenschaft und Forschung.

Bei den ostdeutschen Standortnachteilen müssen in diesem Zusammenhang weitere Defizittatbestände berücksichtigt werden. Dazu gehört die unterschiedliche Entwicklung der Anteile der Hochschulzugangsberechtigten am Altersjahrgang, die im Durchschnitt in Ostdeutschland mit etwa 25 % noch nicht die Höhe der westdeutschen Anteile von ungefähr 33 % erreichen. Dies trifft noch deutlicher auf die jeweiligen Studierendenanteile zu. In Ostdeutschland nehmen viel weniger Hochschulzugangsberechtigte das Studium auf als in den so genannten alten Ländern.

Vor allem Frauen verzichten häufig auf das Studium. In diesem Zusammenhang spielen offenbar, neben der lange Jahre unzureichenden Studienförderung, auch unzutreffende Vorstellungen darüber eine Rolle, welches Arbeitsmarktrisiko mit den verschiedenen Bildungsabschlüssen verbunden ist. Nach wie vor ist das Arbeitsmarktrisiko bei Hochschulabschlüssen deutlich geringer als bei jeder anderen Abschlussart, was im Osten vielfach nicht bekannt ist.

Vertieft wird das Problem dadurch, dass in den nächsten Jahren geburtenschwache Jahrgänge, als Folge des bereits erwähnten "Wendeknicks", die ostdeutschen Schulen besuchen. Eine Reduzierung des Ausbauvolumens in der Wissenschaft kann dies allerdings nicht rechtfertigen, wie allein schon der im Vergleich zu Westdeutschland noch bestehende Abstand beim Jahrgangsanteil der Hochschulzugangsberechtigten und der Studierenden zeigt.

Insgesamt werden in Deutschland die Studierendenzahlen auch weiterhin steigen. Notwendig ist deshalb eine verstärkte Werbung für die ostdeutschen Hochschulstandorte. Dies setzt wiederum voraus, dass der Ausbau dort fortgeführt und abgeschlossen wird. Eine Ausrichtung des Wissenschaftsaufbaus an wechselnden und im konkreten Fall zunächst zurückgehenden regionalen Schuljahrgangsstärken wäre vor diesem Hintergrund eine abwegige Fehlorientierung.

Sie würde die ostdeutschen Standortprobleme verstärken und den Schrumpfungsprozess nicht aufhalten, sondern beschleunigen, der inzwischen in einigen ostdeutschen Regionen ein auch unter gesamtstaatlichen Strukturgesichtspunkten bedenkliches Ausmaß aufweist. Der Geburtenrückgang und der anhaltende Bevölkerungsverlust in vielen ostdeutschen Regionen sind zwei auffallende Strukturmerkmale einer negativen Entwicklung, die nicht durch prozyklisches Verhalten gefördert werden darf.

In der ostdeutschen Landespolitik kommt der Wissenschaft häufig nicht diejenige Bedeutung zu, die sie vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Industrieforschung haben müsste... Verkannt werden die positiven Wirkungsmöglichkeiten, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen gerade in Strukturkrisenregionen wahrnehmen können.

Auch ein anderer Faktor hat problematische Auswirkungen. In der ostdeutschen Landespolitik kommt, wie dies an einem Einzelbeispiel deutlich wurde, der Wissenschaftspolitik häufig nicht diejenige Bedeutung zu, die sie vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Industrieforschung haben müsste. Die Instrumente und die Ergebnisse der klassischen, direkten Wirtschaftsförderung werden im Vergleich zu den überwiegend indirekt wirkenden, in bestimmter Hinsicht auch "moderneren" Infrastrukturmaßnahmen auf dem Gebiet der Wissenschaftspolitik überschätzt.

Die Bedeutung der Standortfaktoren Bildung, Wissenschaft und Forschung - in einem Nenner: die Qualifizierung der Menschen - wird demgegenüber insgesamt unterschätzt. Man gewinnt in diesem Kontext ab und zu den Eindruck, dass manche Wissenschaft und Forschung eher dem weniger produktiven Teil der Gesellschaft zuordnen und deshalb die vielfältigen, positiven Wirkungsmöglichkeiten verkennen, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen gerade in Strukturkrisenregionen wahrnehmen können.

Ich nenne als ein Beispiel die Krise der Montanindustrie, die seit den sechziger Jahren vor allem in Nordrhein-Westfalen sichtbar wurde. Die damals in Westdeutschland gegründeten Wissenschaftseinrichtungen haben einen wesentlichen Anteil an der erfolgreichen regionalen Umstrukturierungspolitik. Ohne entsprechende Anstrengungen in Ostdeutschland wird es keinen nachhaltig wirkenden "Aufschwung Ost" geben können.

Ein Ausgleich der im Wissenschaftsbereich bestehenden Standortdefizite zwischen Ost und West verwirklicht die Forderungen nach regionaler Chancengleichheit und nach fairen Wettbewerbsbedingungen innerhalb Deutschlands. Er ist aber ebenso für die individuelle Chancengleichheit beim Zugang zu Ausbildungs- und Qualifikationspositionen und deshalb auch für die damit zusammenhängenden Geschlechter- und sozialen Fragen wichtig. Wesentliche Verbesserungen setzen auf diesem Gebiet voraus, dass die Aufgabenstellung als komplexes Strukturproblem - und nicht als ein Nebeneinander von bestenfalls lose verbundenen Einzelfragen - verstanden und angegangen wird.

Die Wiederherstellung der deutschen Einheit und die damit zusammenhängenden Umbruchsituationen in Ostdeutschland haben nicht nur dazu geführt, dass Ungleichgewichte und Unterschiede in der Wissenschaftsentwicklung sichtbar und zum Teil, etwa in der Industrieforschung, auch vertieft wurden. Sie haben ebenso neue Wege für Innovationsansätze eröffnet. Soweit diese erfolgreich beschritten wurden, wurde damit auch eine Verbesserung der Bildungs- und Qualifikationschancen erreicht.

Die in Brandenburg 1991 errichteten Universitäten, die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), die Universität Potsdam und die Brandenburgische Technische Universität in Cottbus, haben im Universitätssektor als erste ostdeutsche Neugründungsinstitutionen Anstöße für die Hochschulentwicklung gegeben. Auch andere ostdeutsche Neugründungen im Universitäts-, im Fach-hochschul- oder in anderen Bereichen und in gleicher Weise bereits bestehende Hochschulen haben die Innovation gefördert. Dafür stehen als Beispiele

  • neue Studiengänge,
  • die engere und gegenüber Westdeutschland intensivere Kooperation zwischen Hochschulen und außerhochschulischen Forschungseinrichtungen,
  • die internationale Ausrichtung von Forschung und Lehre etwa in der neuen internationalen Begegnungsuniversität in Frankfurt (Oder) mit einem Anteil von ungefähr 40 % an ausländischen Studierenden,
  • die Stärkung der anwendungsorientierten Forschung an den Fachhochschulen oder
  • die bessere Betreuung der Studierenden, die an ostdeutschen Hochschulen ihr Studium bis vor kurzem ganz überwiegend innerhalb der Regelstudienzeit absolvierten.
Die eingeleiteten Strukturreformen und Erneuerungsprogramme waren allerdings nicht alle erfolgreich. Nicht alle 1990 eröffneten Chancen wurden genutzt. Das mit dem Wissenschaftlerinnen- und Wissenschaftlerintegrationsprogramm ("WIP") verfolgte Ziel, die Forschung an den ostdeutschen Hochschulen durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den außerhochschulischen Forschungseinrichtungen zu stärken, ist, um ein Beispiel zu nennen, insgesamt nur in begrenztem Umfang erreicht worden.

Ein wirksamer Beitrag zur Innovation setzt ein höheres Bundesengagement, auch im Bereich der Finanzen, voraus. Neue Bundesprogramme, z.B. zur Unterstützung der Personalstrukturreform, sollten auf dem Gebiet der Wissenschaft den strukturschwachen Ländern Anreize zur Erhöhung des Landesengagements geben.

Von Land zu Land bestehen dabei erhebliche Unterschiede in den Programmergebnissen, die nur teilweise durch die Ausgangsunterschiede erklärt werden können.

Die Zielsetzungen in den Hochschulsonderprogrammen wurden, was Ostdeutschland anbelangt, den strukturpolitischen Herausforderungen nicht immer gerecht. Die Höhe der Bundesförderung entsprach nicht den gestellten Aufgaben. Die Chancen für Neugründungen und Strukturreformen konnten deshalb nicht ausgeschöpft werden. Qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ostdeutschland haben in vielen Fällen keine adäquate Beschäftigung gefunden.

Die Ansätze für die Frauenförderung oder die Gestaltungsbedingungen für Qualifikations- und Arbeitsverhältnisse an den ostdeutschen Hochschulen, welche die Bedürfnisse von Frauen berücksichtigt hatten, konnten nicht aufrecht erhalten werden. Die erforderliche Personalstruktur- und eine durchgreifende Hochschulstrukturreform werden zum Teil erst jetzt eingeleitet, nachdem die westdeutschen reformbedürftigen Strukturen in Ostdeutschland eingeführt worden sind.

Auch die Möglichkeit, unterstützt vom Bund neue Finanzierungsmodelle mit einem eigenen Vermögensanteil der Hochschulen in Ostdeutschland zu erproben, wurde nicht genutzt. Vergleichbares gilt etwa für eine Neuordnung der Struktur der Wissenschaftsakademien in Deutschland, bei der ostdeutsche Einrichtungen eine besondere Rolle hätten spielen können.

Die Bilanz der Innovationsanstrengungen im Wissenschaftssystem in Ostdeutschland weist ein insgesamt ambivalentes Ergebnis auf. Einige Reform- und Neugründungsansätze waren erfolgreich, die Erneuerungschancen wurden aber nur zum Teil genutzt. Die Bundesbeteiligung entsprach vor allem unter finanzpolitischen Gesichtspunkten nicht den Herausforderungen.

Die meisten ostdeutschen Länder sind mit den Anforderungen für den notwendigen Auf- und Ausbau von Hochschulen und Forschungseinrichtungen finanzpolitisch überfordert. Die erforderliche Erneuerung, der innerdeutsche Infrastrukturausgleich von Standortdefiziten und ein wirksamer Beitrag zur Innovation setzen deshalb ein höheres Bundesengagement, auch im Bereich der Finanzierung, voraus. Neue Bundesprogramme, z. B. zur Unterstützung der Personalstrukturreform, sollten auf dem Gebiet der Wissenschaft den strukturschwachen Ländern Anreize zur Erhöhung des Landesengagements geben.

Derartige Programme sollten unterschiedlich hohe Bundesanteile für eine gemeinsame Förderung von Maßnahmen vorsehen, um die Initiativfunktion zu verstärken. In den Bund-Länder-Programmansätzen sollte das Ziel integriert sein, Chancengleichheit für Frauen zu erreichen. Die Bundesförderung sollte daran ausgerichtet werden, die für Ostdeutschland bestehenden Defizite auszugleichen. Sie darf nicht etwa die zum Teil historisch gewachsenen Ungleichgewichte durch eine allzu starke Anknüpfung an bereits vorhandene Potenziale vertiefen. "Wer hat, dem wird gegeben" - das sollte kein Ziel der Förderpolitik sein.

In der politischen Debatte in Ostdeutschland und auf der überregionalen Ebene müssen Wissenschaft, Forschung und Innovation als wichtige Standortfaktoren künftig eine größere Rolle spielen.

Der Aufbau der ostdeutschen Wissenschaftseinrichtungen liegt im Interesse einer gesamtdeutschen Infrastrukturpolitik. Die Entwicklung Ostdeutschlands zu einem neuen mezzo giorno zuzulassen, wäre für den Gesamtstaat und daher auch für den Westen Deutschlands auf die Dauer bei weitem teurer als eine rechtzeitig eingeleitete und in der Dimension ausreichende Bundesförderung für den ostdeutschen Infrastrukturausbau. Dem Ausbau der ostdeutschen Wissenschaftspotenziale kommt dabei entscheidende Bedeutung zu:
Das gilt

  • für die übergreifende Infrastrukturpolitik,
  • für die Innovationsfunktion,
  • den innerdeutschen Standortwettbewerb
  • und ebenso für die Verwirklichung der Chancengleichheit als zentraler gesellschaftspolitischer Forderung.
Auch hier will ich, abschließend, ein konkretes Beispiel anführen, das im Einzelfall die Fragestellung noch einmal deutlich macht. Die Europa-Universität in Frankfurt (Oder), die ich bereits erwähnt habe, ist ein grenzüberschreitendes Kooperationsprojekt, das für die positive Gestaltung der deutsch-polnischen Beziehungen einen kaum zu überschätzenden Beitrag leistet. Es gibt, was die internationale Zusammensetzung der Studentenschaft und insgesamt die internationale Ausrichtung der Universität angeht, in Europa kein vergleichbar erfolgreiches Modell.

Der Wissenschaftsrat hat in einer Stellungnahme sinngemäß ausgeführt, dass sich die Finanzausstattung der Europa-Universität vor dem Hintergrund der ihr gestellten Aufgaben am unteren Rand des noch Hinnehmbaren bewege. Er hat in diesem Zusammenhang auch an die Finanzierungsverantwortung des Bundes erinnert. Mit beiden Aspekten - mit der Bewertung der Höhe der Gesamtfinanzierung und der Bundesfinanzierungsverantwortung - wird in einem Einzelbeispiel das Kernproblem der Wissenschaftslandschaften in Ostdeutschland angesprochen.

In der politischen Debatte in Ostdeutschland und auf der überregionalen Ebene müssen Wissenschaft, Forschung und Innovation als wichtige Standortfaktoren künftig eine größere Rolle spielen. In der Politik, in den Medien, in den Verbänden, aber auch in den ostdeutschen Wissenschaftsinstitutionen ist dazu ein Beitrag zu leisten, ein Beitrag, der darauf hinwirken kann, vorhandene Einstellungen und Mentalitäten zu ändern und die ostdeutsche Infrastrukturentwicklung voranzubringen.


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Christa Cremer-Renz, Klaus Faber
- Prof. Dr. Klaus Landfried
- Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel
- Barbara Stolterfoht

Round-Table 1:
Frauen und Männer in Hochschulen und Forschungseinrichtungen
- Dr. Peter Döge
- Dr. Barbara Hartung
- Dr. Larissa Klinzing
- Dr.-Ing. Karl-Heinrich Steinheimer

Round-Table 2:
Wissenschaft in Ost und West
- Gerd Köhler
- Prof. Dr. Barbara Riedmüller
- Jutta Schmidt
- Klaus Faber
- Tilo Braune