Potsdamer Konferenz - Forum I

Barbara Stiegler

Gender - Mainstreaming - eine neue geschlechterpolitische Strategie

Geschlechterdifferenz und Geschlechterhierarchie sind wesentliche Merkmale gesellschaftlicher Verhältnisse, Geschlechterpolitik zielt auf deren Veränderung. Geschlechterpolitik entwickelt innovative Konzepte, die zum Abbau der Geschlechterhierarchie beitragen. Geschlechterpolitik ist eine Politik, die zum einen die Geschlechtsdiskriminierung innerhalb von Institutionen aufzeigt, ihre Ursachen benennt und egalitäre Geschlechterverhältnisse im Inneren von Organisationen schaffen will.

Zum anderen kritisiert sie die vermeintliche Geschlechtsneutralität von Politik der Institutionen und Organisationen als indirekte Diskriminierung von Frauen und setzt Verfahren und Maßnahmen um, die zur Geschlechterdemokratie führen. Geschlechtertheorien dienen der Selbstaufklärung politischer Strategien. Die verschiedenen Geschlechtertheorien legitimieren unterschiedliche politische Strategien: Differenztheorien begründen eine autonome, von Männern und Männlichem abgegrenzte Politik.

Die Dekonstruktionstheorien legitimieren jede Art von Politik, die geschlechtliche Identitäten nicht ausgrenzt, sondern entgrenzt und die gesellschaftliche Konstruktionen als solche kenntlich macht, sie delegitimieren jede Form der Geschlechterherrschaft und ermutigen dazu, sich von allen Zuschreibungen aufgrund des Geschlechts zu befreien. Gesellschaftskritische Geschlechtertheorien bieten Analyseraster und Erkenntnisse über die je vorhandenen Formen der Geschlechterhierarchie und Frauendiskriminierung. Geschlechterpolitik basiert auf vier Säulen:

  • Quote,
  • Legalisierung und Normierung,
  • Gender Mainstreaming und
  • autonome Praxis.
Die Quote beendet den Frauenausschluss, sie ist Gegenstand von Geschlechterpolitik, garantiert aber keine weitere geschlechterpolitische Innovation. Die im Grundgesetz verankerte Gleichstellung von Frauen ist noch nicht verwirklicht. Frauen sind in politischen Entscheidungsgremien, aber auch auf Positionen, die mit Macht oder Entwicklungschancen ausgestattet sind, nicht genügend vertreten. Weil Demokratie auf dem Prinzip der vollständigen und gleichen Mitwirkung und Repräsentation aller Mitglieder einer Gesellschaft beruht, widerspricht dieses Phänomen dem Gleichberechtigungsgrundsatz.

Geschlechterdemokratie basiert auf vier Säulen: Quote, Legalisierung und Normierung, Gender-Mainstreaming und autonome Praxis.

Um die Unterrepräsentanz von Frauen in politischen Institutionen und Positionen, die mit Macht oder Entwicklungschancen verbunden sind, aufzuheben, ist die Quotierung der Geschlechter eine angemessene Strategie. Sie zielt darauf, formal die Gleichheit der Geschlechter herzustellen. Dabei werden Frauen nicht aufgrund dessen, dass ihnen irgendwelche besonderen Merkmale, etwa weibliche Eigenschaften, Sichtweisen oder Einstellung generell zugeschrieben werden, aufgenommen, sondern vielmehr deswegen, weil sie aufgrund ihres Geschlechts quantitativ bislang offensichtlich ausgeschlossen worden sind.

Die Tatsache des Ausschlusses qua Geschlecht ist die Begründung für die Geschlechterquote. Die Quote erhöht aber nur die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch an den Positionen oder der Politik etwas ändert. Die Einbindung einzelner Frauen in politischen Gremien ist keine Garantie für eine andere Kultur des Umgangs, für eine andere Politik nach außen. Dennoch zeigen Erfahrungen und Studien aus den nordischen Ländern, dass es so etwas wie das Gesetz der kritischen Masse gibt: Sind in einem Gremium mindestens 30 % Frauen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Umgangsformen und Regularien in Frage gestellt und verändert werden.

Geschlechterverhältnisse spiegeln sich auch in Gesetzen und Normen wider. Sie zu verändern, ist immer schon eine Strategie von Frauen gewesen. Normen und Leitbegriffe sind zwar sehr abstrakt, dennoch bieten sie Voraussetzungen für konkrete Politik. Die Entwicklung einer Politik des Gender-Mainstreaming ist ohne die Verankerung von Chancengleichheit in den Vertragstexten der europäischen Staaten nicht denkbar. Politische Aktivitäten können sich auf solche Normen berufen und von ihnen legitimiert werden. Nicht zuletzt bieten sie auch einzelnen Frauen, die sich diskriminiert fühlen, eine Bezugsgröße und ermutigen sie, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Gender-Mainstreaming hat drei Voraussetzungen:

  • Erstens, dass die Geschlechterfrage als politische Frage gesehen wird,
  • zweitens, dass politische Interventionen dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit bzw. Chancengleichheit und dem Durchsetzen der Menschenrechte auch für Frauen zu dienen haben, und
  • drittens, dass bisherige Strategien als ergänzungsbedürftig angesehen werden.
Gender-Mainstreaming ist ein Durchsickern der Geschlechterfrage in bislang männerzentrierte Denkweisen, Organisationsformen und Verfahrensweisen, als solche eine neue, aussichtsreiche Strategie. Sie darf jedoch nicht als einzige sinnvolle und treffsichere Methode definiert und dazu benutzt werden, andere erprobte Strategien als überflüssig zu bezeichnen.

Gender-Mainstreaming bedeutet dann konkret die Aktivierung aller Potenziale zur Herstellung der Chancengleichheit. Gender-Mainstreaming umfasst sowohl die Förderung von Frauen als diskriminierter Gruppe, als auch die Herstellung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, damit Chancengleichheit möglich wird, und nicht zuletzt die Bewusstseinsbildung über die Geschlechterfrage, insbesondere bei männlichen Akteuren.

Eine wichtige Aktivität im Rahmen von Gender-Mainstreaming ist das Gender-Controlling, also die Analyse jeder politischen Aktivität unter der Fragestellung, welchen Beitrag sie zur Chancengleichheit leistet: Dazu werden z. B. Aktionsprogramme bereits im Entwurf und Planungsstadium unter der Geschlechterfrage analysiert und verändert, ihre Ergebnisse unter der Geschlechterfrage evaluiert. Ein wirksamer Gender-Mainstreaming Prozess erfordert Fachwissen und Gender-Kompetenz, und zwar bei allen an Entscheidungen Beteiligten. Eine vollständige Durchsetzung des Gender-Mainstreaming- Prinzips führt zum Idealfall, der fünf zentrale Merkmale aufweist:

  • Erstens werden die Geschlechterverhältnisse als selbstverständliche Elemente komplexer Problemlösungen betrachtet und bereits im Planungsstadium berücksichtigt werden.
  • Zweitens sind vielfältige Methoden zur spezifischen Analyse des Geschlechterverhältnisses in allen Sachfragen vorhanden.
  • Drittens sind in diesem Idealfall alle politischen Akteure gendersensibel, und zwar sowohl im persönlichen Verhalten als auch in ihrer Problemsicht.
  • Viertens werden die Effekte politischer Maßnahmen in ihren Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis evaluiert und Maßnahmen, die nicht zur Gleichstellung der Geschlechter führen, ausgeschieden und
  • fünftens erübrigt sich die Kontrolle, ob die Gender-Perspektive integrierter Bestandteil aller politischer Aktivitäten ist.
Frauenpolitik muss Orte für Frauen zur Selbstverständigung, Rückbesinnung und autonomen Praxis schaffen. Die Frauenbewegung als die gesellschaftliche Praxis der Schaffung autonomer Räume für Frauen ist der sichtbare Beweis dafür, dass von Frauen Gedachtes und Gefühltes unsichtbar gehalten wurde und dass die Bezugnahme von Frauen aufeinander produktiv und innovativ ist.

In Organisationen und Institutionen haben Frauen deshalb auch immer für ihre eigenen Strukturen, Gruppen, Abteilungen oder Gremien gekämpft. Hier verständigen sie sich über ihre Interessen, von hier aus wollen sie Einfluss nehmen. Ihre Kritik richtet sich immer nicht nur auf die Diskriminierung ihrer Interessen, sondern auch auf die politische Kultur der jeweiligen Organisation, wenn sie frauenausschließende und frauenverachtende Züge trägt. Eigenständige Frauengremien ersetzen nicht ein quotiertes Gremium, sind keine Alternative zum Gender-Mainstreaming, vielmehr bieten sie den Motor, den Rückhalt und die Rückkoppelung für die frauen- und geschlechterpolitischen Handlungen von Frauen an anderen Stellen.

Fazit: Gender-Mainstreaming ist ein Durchsickern der Geschlechterfrage in bislang männerzentrierte Denkweisen, Organisationsformen und Verfahrensweisen, als solche eine neue, aussichtsreiche Strategie. Sie darf jedoch nicht als einzige sinnvolle und treffsichere Methode definiert und dazu benutzt werden, andere erprobte Strategien nun als überflüssig zu bezeichnen. Ebenso wenig, wie sie ein Ersatz für Quotierung, normative Festlegungen oder autonome Frauenräume sein kann, ist sie eine Reaktion auf die Erfolge, die Frauen in der Geschlechterfrage erzielt haben. Im Gegenteil, sie setzt an der Erfahrung an, dass die Umsetzung der Geschlechterdemokratie ein viel gewaltigeres und tiefgreifenderen Vorhaben sein muss als bislang geglaubt.

Literatur:

  • Barbara Stiegler, Wie Gender in den Mainstream kommt. Konzepte, Argumente und Praxisbeispiele zur EU-Strategie des Gender-Mainstreaming, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2000


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Barbara Stiegler
- Marion Lührig / Barbara Stiegler

Round-Table 1:
Gender-Mainstreaming in Organisationen
- Prof. Dr. D. Schimanke
- Dr. Ursula Aumüller-Roske
- Christel Ewert
- Bernd Drägestein

Round-Table 2:
Beispiele aus der Bildungspraxis
- Doris Lemmermöhle

Round-Table 3:
Strukturen und Netzwerke
- Ilona Schulz- Müller
- Gabriele Schambach