Potsdamer Konferenz - Forum I

Christel Ewert

Gender-Mainstreaming, eine Herausforderung für die Organisationsberatung

Sehr geehrte Damen und Herren, ich fokussiere das Thema Gender-Mainstreaming aus meiner Sicht als frei-berufliche Organisationsberaterin und Gendertrainerin. Meinen Vortrag habe ich in vier Bereiche untergliedert:

  • Gender-Mainstreaming als Führungsaufgabe innerhalb einer Non-Profit-Organisation
  • Gender-Mainstreaming als Thema für die Organisationsberatung
  • Gender-Mainstreaming unter dem Aspekt betrieblicher Kommunikationsbarrieren
  • Eckpfeiler der Beratung und Anforderungsprofile von OrganisationsberaterInnen
Gender-Mainstreaming ist eine Führungsaufgabe. Die ExpertInnenkommission Brüssel beschreibt in Ihrem Bericht den Begriff Gender-Mainstreaming wie folgt: "Gender-Mainstreaming ist eine Reorganisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung grundsatzpolitischer Prozesse mit dem Ziel, eine geschlechterbezogene Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle normalerweise an politischen Entscheidungsprozessen beteiligten Akteure einzubringen."

Innen- und Außenwelt von Organisationen muss in punkto Chancengleichheit übereinstimmen. Sonst verspielen sie ihre Glaubwürdigkeit.

Hieraus leitet sich nicht ausschließlich Schulungsbedarf für die Politik und Verwaltungen ab, sondern ein grundsätzlicher Prozess, der gesamte Organisationen betrifft. So verknüpfen die Mitglieder der Expertinnenkommission in ihrer Definition eine Produktverbesserung mit dem Gender-Mainstreaming-Ansatz, sie fordern, eine genauere Politik für KundInnen zu machen. Hieraus leitet sich für mich die klassische Organisationsentwicklungsaufgabe ab, vor die Organisationen nun gestellt sind.

Eine Verwaltungsorganisation muss überlegen: "Wie bekomme ich die hier arbeitenden und gestaltenden Menschen dazu, das Thema der Zweigeschlechtlichkeit mit allen Zuschreibungen und Konsequenzen in ihrer Arbeit zu berücksichtigen?" Die klassischen Kontrollinstrumente greifen hier wohl kaum, auch eine verordnete Geschlechterverträglichkeits-Prüfung trägt der Komplexität der Aufgabe nicht Rechnung.

Anhand des Managementnetzes von Detlev Luthe möchte ich auf die Vernetzung von Führungsaufgaben eingehen, mit denen Sie in einer Organisation zu tun haben, wenn Sie gemäß der Expertinnenkommission eine Reorganisation in Gang setzen wollen. Ich gebe hier nur exemplarisch einige Fragestellungen zu den Managementaufgaben an, um sie zu verdeutlichen. Die Fragen, die sich aufwerfen, sind natürlich weitaus vielfältiger.

Corporate Identity: Ist Chancengleichheit als gemeinsame Grundlage im Leitbild der Organisation verankert?

Personalentwicklung: Haben Männer und Frauen realiter die gleichen Beförderungschancen, nicht nur auf dem Papier? Wird an auftretenden Problemen diesbezüglich gearbeitet?

Fund Raising: Wie verhält sich die Organisation zu Chancengleichheitsgrundsätzen, wenn es ums Geld geht?

Marketing: Sind die beschriebenen Produkte zu Chancengleichheitsaspekten überprüft? Welche Bedeutung hat das für die Serviceverbesserung?

Öffentlichkeitsarbeit: Mit welchen Themen wird wie und wann nach außen kommuniziert?

Organisationsentwicklung: Ist es erklärtes Ziel der Organisation, die gesellschaftliche Chancengleichheit voranzutreiben? Gibt es Zeitschienen & Ziele, die für alle überprüfbar sind?

Jeder dieser Aspekte ist gleichberechtigt zu berücksichtigen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass alles, was Sie im Innen versäumen oder vernachlässigen, sich ins Außen kommuniziert und umgekehrt. Die Innen - und Außenwelt der Organisation muss kongruent sein. Eine Organisation, die sich nach Außen als Organisation anbietet, die Chancengleichheit fördert, es im Innen aber nicht lebt, verspielt Glaubwürdigkeit, übrigens ein Problem, dass zur Zeit beim Thema Chancengleichheit alle Parteien zu haben scheinen.

So sind auch viele Seminarangebote für effektives Frauen-Empowerment innerhalb der betrieblichen Weiterbildung kein Garant für eine geschlechtergerechte Personalführung. Bietet die Kultur der Organisation den Frauen nicht den Rahmen, dieses neu erlangte Wissen einzusetzen ohne Sanktionen zu erwarten, bleibt Frauenförderung eher ein Feigenblatt. Hier wird deutlich, wie sehr die Führung eines Hauses notwendig ist, um die Glaubwürdigkeit der Chancengleichheit zu manifestieren und somit als Orientierung zu dienen.

Alle sechs oben genannten Bereiche sind Aufgaben, die gesteuert werden sollten, sie stellen große Anforderungen an Führung. Eine Führungskraft oder ein Führungsgremium, dass diese Prozesse nicht gestaltet, lässt zu, dass diese Prozesse sich unstrukturiert gestalten. Wenn ich von Führung spreche, meine ich hier bewusst die oberste Führungsebene. Sie können einen Gender-Mainstreaming-Prozess nur in einer Organisation in Gang setzen, in der sie die Hausmacht haben oder von der Hausmacht explizit beauftragt sind.

Gender-Mainstreaming ist Thema von Organisationsberatung. Ich spreche von Organisationsberatung als einem zeitlich befristeten Prozess, der von außen begleitet wird. Ich spreche von Organisationsentwicklung, wenn ich den Prozess beschreiben will, der von innen geführt wird. Der Begriff Organisationsentwicklung fällt jedoch noch selten mit dem Gender-Mainstreaming-Prozess in einem Atemzug.

Meistens wird versucht, Gender-Mainstreaming-Prozesse durch Einzelmaßnahmen zu installieren. Viele Anfragen habe ich z. B. von Frauenbeauftragten oder engagierten Frauenpolitikerinnen, die eine angeleitete Moderation zum Geschlechterthema in ihrer Organisation wünschen. Was sie im Vorfeld thematisieren ist der Wunsch nach einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit, einen angeleiteten Reflexionsrahmen für ihr Gremium oder ihre Organisation. Selten wenden sich Führungskräfte an mich, um unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit ein Produkt oder eine Serviceverbesserung einzuführen. Hier gibt es noch wenig Problembewusstsein und wenig Handlungsdruck.

Die "Männerfrage" innerhalb des Gender-Mainstreaming-Prozesses kommt übrigens ebenfalls kaum vor, und sie wird meist erst durch uns, im Vorfeld oder im Seminarkontext thematisiert. Ich möchte einige bisherige Widersprüchlichkeiten aufzeigen, mit denen ich mich konfrontiert sehe und auf Möglichkeiten hinweisen, die einen Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Organisation und in deren Produktgestaltung beschreiben könnten. Zunächst lassen Sie mich beschreiben, was Organisationen alles tun, um sich nicht zu entwickeln und nicht zu lernen.

Chris Agyries beschreibt dieses betriebliche Phänomen in seinem Buch "Wissen in Aktion". Er hat unterschiedliche Unternehmen, Schulen, Hochschulen und staatliche Regierungsstellen untersucht und stellte flächendeckend ein großes Fehlervertuschungsprogramm fest, das er "eingeübte Inkompetenz" nennt.

Dabei geht es im Wesentlichen um die beständige Produktion widersprüchlicher Aussagen innerhalb einer Organisation und die gleichzeitige Undiskutierbarkeit dessen, z.B.: "Sei innovativ und risikofreudig, aber mache ja keine Fehler." Übertragen auf das Thema Chancengleichheit der Geschlechter könnte es heißen: "Wir finden es wichtig Frauen zu fördern, aber nur solange sie nicht in unsere hierarchische Nähe kommen." oder "Wir wollen, dass Frauen sich emanzipieren, aber wir wollen bestimmen, in welchem Rahmen."

Fehlende Geschlechtergerechtigkeit gehört für mich zu den ganz großen Undiskutierbarkeiten in Organisationen. So gelingt es Verwaltungen, sich in einen Verwaltungsreformprozess zu begeben, ohne Gender-Aspekte auch nur zu streifen. Die meisten Beratungsbüros positionieren sich zwar zu Kundenfreundlichkeit und Service, haben aber keine geschlechtsspezifische Sichtweise, damit bleibt Mensch = Mann und die Reformen im Umbruch schon inkonsequent.

Die Aufgabe Chancengleichheit der Geschlechter in die Prozesse einzubringen bleibt dann häufig harte und einsame Aufgabe der Frauenbeauftragten. Ich sehe einen Teil meiner Aufgabe als Organisationsberaterin darin, diese und andere Undiskutierbarkeiten und Widersprüchlichkeiten in Organisationen zu erkennen und sie in den Diskussionsprozess zurückzuführen. Um dies zu tun, müssen Kommunikationsstrukturen in Organisationen installiert werden, die Allen ermöglichen, gemeinsam in einen Dialog zu treten und gemeinsam zu lernen.

Eingeübte Inkompetenz als Kennzeichen von Organisationen: "Wir wollen, dass Frauen sich emanzipieren, aber wir wollen bestimmen, in welchem Rahmen.

Gender-Mainstreaming ist ein Kommunikationsthema! Es geht um Kommunikationstransfer zwischen verschiedenen Ebenen, z. B. um die Vermittlung der Inhalte des europäischen Parlamentes auf die Region, oder Vermittlung von unterschiedlichen Ansätzen der Mitgliedsstaaten untereinander.

Andere Beispiele sind die Vermittlung von Forschungsergebnissen der Universitäten und Fachhochschulen auf die administrative und politische Ebene oder die Vermittlung unterschiedlicher Erfahrungen und Kommunikationsstile zwischen Männern und Frauen.... Es geht dabei um die Wahrnehmung und Übertragung von Verantwortlichkeit innerhalb unterschiedlicher Hierarchieebenen.

Wir haben vier unterschiedliche Kommunikationsbarrieren zu überwinden oder weniger dramatisch ausgedrückt, wir kommen in Kontakt mit vier verschiedenen Kommunikationshürden:

  • hierarchische,
  • berufsgruppenbezogene (WissenschaftlerInnen/ PolitkerInnen/ VerwaltungsbeamtInnen usw.),
  • geschlechterbezogene und
  • kulturelle Kommunikationsbarrieren.
Um diese vier Arten von Kommunikationsbarrieren zu überwinden, sind neue Formen der Zusammenarbeit innerhalb einer Organisationen und zu deren KooperationspartnerInnen notwendig. Es müssen Vernetzungssysteme angedacht werden, die es ermöglichen, schnell und effektiv zu einzelnen Themen zusammenzuarbeiten und sich auszutauschen. Das erfordert Beziehungsfähigkeit, so genannte Sozialkompetenz und vor allem ein Einverständnis über die Wichtigkeit der Aufgabe und damit Zeit und Geld.

Nun komme ich zu meinem letzten Abschnitt, in dem ich auf Möglichkeiten eingehe, die vorab beschriebenen Hürden zu überwinden, zu den Eckpfeilern der Beratung und den Anforderungsprofilen an die BeraterInnen. Ein Beratungsprozess zu Gender-Mainstreaming kennzeichnet sich aus meiner Sicht durch drei verschiedene Phasen:

Zunächst eine Diagnose und Rückkopplungsphase, in der folgende Fragen bearbeitet werden: Was ist in Ihrer Organisation zum Thema Chancengleichheit los? Welche Erfahrungen sind vorhanden? Kann durch Befragung, Veranstaltungen, Mitgehen o.ä. erfasst werden? Die zweite Phase dient der konzeptionellen Entwicklung für den Organisationsentwicklungsprozess: die Etablierung einer Steuerungsgruppe, Arbeit in verschiedenen Settings z. B. in Workshops, Projektgruppen, Teamsupervision, Gruppensupervision oder Coaching. Zum Abschluss werden die Ergebnisse vor der Organisation und Führung präsentiert und es kommt zur Institutionalisierung einer internen Steuerungsstruktur.

Aus meiner Sicht halte ich für den Gender-Mainstreaming-Prozess folgende weitere Aspekte für notwendig:
Es muss am Anfang des Prozesses ein "common ground" innerhalb einer Organisation hergestellt werden, bei dem die Führung dabei ist. Je nach Größe einer Organisation können das Seminarkontexte sein oder Veranstaltungen nach der open-space Methode, Zukunftskonferenz o.ä. So wird die Basis geschaffen, von der alle ausgehen können.

Die Vernetzung der Beratungssysteme sollte im Interesse der Organisation sein und somit mit kontraktiert werden. Es ist sinnvoll, dass alle Trainerinnen und Trainer, Beraterinnen und Berater in die gemeinsamen Ziele der Organisation eingebunden werden. Fehler machen zu dürfen und darüber in Austausch zu gehen sollte zur Kultur einer Organisation werden.

Zeitliche Zielvorgaben sind notwendig, um die Wirksamkeit von Maßnahmen und deren Entwicklung zu überprüfen.

Nun komme ich zu meinem letzten Punkt: Was sollten Beraterinnen können, um der Organisation hilfreich sein zu können? Mit diesen Ausführungen beziehe ich mich auf die Ausarbeitung von Kornelia Rappe-Giesecke:

  • Sie sollten die Bedeutung von Organisationskultur erkennen und ins Gespräch bringen.
  • Sie sollten neben solidem Wissen über Veränderungsprozesse in Organisationen auch Wissen über Kommunikationsbarrieren (hierarchische, geschlechterbezogene, berufsgruppenspezifische, kulturelle) innerhalb von Organisationen mitbringen.
  • Sie sollten ihre Kunden und Kundinnen darüber aufklären und mit ihnen Schritte vereinbaren.
  • Sie sollten in der Lage sein, Insider - Outsider Teams zu bilden und helfen, neben den bestehenden Strukturen parallele Lernsysteme zu installieren.
Die Fähigkeit der Organisation zu erkennen, eigene Probleme selber lösen zu können und nur partiell die Unterstützung von Beraterinnen oder Beratern in Anspruch nehmen zu müssen, erscheint mir in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig. Dabei ist es notwendig, klar zu haben, wer welche Verantwortung wofür zu übernehmen hat. Sie sollten Konkurrenzprobleme mit anderen Beraterinnen und Beratern der zu beratenden Organisationen überwinden können und zur Vernetzung bereit sein.

Und sie sollten in der Lage sein, Führungskräfte zu coachen und Team- oder Gruppensupervision anbieten können. Dabei ist es wichtig, auch die Grenzen von Beratung als Unterstützung aufzuzeigen und den OrganisationsvertreterInnen andere Möglichkeiten vorzustellen.

Literatur:

  • Agyries, Chris, Wissen in Aktion
  • Luthe, Detlev, Öffentlichkeitsarbeit für non profit Organisationen
  • Rappe-Giesecke, Kornelia; Loos, Wolfgang; Fatzer, Gerhard: Qualität und Leistung von Beratung
  • Schein, Edgar, Organizational Culture and Leadership
  • Rappe-Giesecke, Kornelia, unveröffentlichte Seminarunterlagen Supervision & Organisationsberatung Ev. FHS, Hannover, 1999


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Barbara Stiegler
- Marion Lührig / Barbara Stiegler

Round-Table 1:
Gender-Mainstreaming in Organisationen
- Prof. Dr. D. Schimanke
- Dr. Ursula Aumüller-Roske
- Christel Ewert
- Bernd Drägestein

Round-Table 2:
Beispiele aus der Bildungspraxis
- Doris Lemmermöhle

Round-Table 3:
Strukturen und Netzwerke
- Ilona Schulz- Müller
- Gabriele Schambach