Potsdamer Konferenz - Forum VI

Prof. Dr. Uta Meier

Frauenalltag und Multimedia

1.

Wir stehen vor einem industriellen und sozialen Quantensprung. Durch die Anwendung neuer elektronischer Informations- und Kommunikationsmedien wird ein Umbruch eingeleitet, der unsere Gesellschaft tiefgreifender umstrukturieren wird als der von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Es ist davon auszugehen, dass diese informationstechnologisch induzierten Neuerungen auch den Alltag im privaten Lebenszusammenhang in ähnlich gravierender Weise verändern werden, wie das seinerzeit beim Übergang ins Industriezeitalter geschah.

Elektronik- und Medienkonzerne, Telefongesellschaften und Energieversorgungsunternehmen sehen in den multimedialen Informations- und Kommunikationstechnologien eine große wirtschaftliche Chance. Auch Privathaushalte werden vor diesem Hintergrund als Absatzmarkt erneut hochinteressant. Multimedia wird als faszinierende Technik in vernetzter Gestalt offeriert, die es den Mitgliedern von Familien- und Single-Haushalten in Zukunft ermöglichen soll, sich die Welt der grenzenlosen Information, Unterhaltung und Werbung nach je eigenem Gustus zu erschließen.

Homeshopping und Telebanking eröffnen neue Perspektiven - weltweit. Die virtuelle Brieftasche erspart es den BenutzerInnen demnächst, Schecks auszufüllen, Unterschriften zu leisten und sich Geheimnummern zu merken. Die Plastikgeld-Produzenten VISA und MasterCard arbeiten bereits an einheitlichen Standards für den Geldtransfer, damit World Wide Web als Medium für Online-Geschäfte fungieren kann. Teleheimarbeitsplätze werden an Bedeutung stark zunehmen und die traditionellen Grenzziehungen zwischen Wohn- und (Erwerbs)Arbeitsplatz des zu Ende gehenden Industriezeitalter auflösen.

Durch die Anwendung neuer elektronischer Informations- und Kommunikationsmedien wird ein Umbruch eingeleitet, der unsere Gesellschaft tiefgreifender umstrukturieren wird als der von der Agrar- zur Industriegesellschaft.

Die Zauberformel vom "Smart Home" steht für die Vernetzung und intelligente Steuerung verschiedener Haushaltsgeräte und -systeme sowie für deren Verknüpfung mit haushaltsexternen Netzen, d.h. mit Anbietern verschiedener Dienste.

Die Verheißungen von Technikoptimisten sind groß. Mit der Auffahrt auf den Datenhighway sei die Zukunft im Cyber-Paradies so gut wie sicher: Hoffnungen auf Millionen neuer Arbeitsplätze, eine Entlastung der bedrohten Umwelt und ein uneingeschränkter Informationszugang für alle wird in Aussicht gestellt. Wir wohnen im globalen Dorf, reisen auf abgasfreien Datenautobahnen und sind über einen elektronischen Briefkasten jederzeit erreichbar.

2.

Technikpessimisten warnen dagegen vor dem totalen Überwachungsstaat, vor Computerhackern und sozialer Vereinsamung. Sie bezweifeln außerdem die prognostizierten Entlastungen der Umwelt. So verweisen sie auf die Gefahren des zunehmenden Elektrosmogs und auf wachsende Elektronikschrottberge. Bisher gibt es noch nicht einmal ein Konzept, was mit den derzeit jährlich anfallenden 150.000 Tonnen Elektronikschrott passieren soll; eine Elektronikschrottverordnung existiert nicht. Außerdem ist der Papierverbrauch im Bürobereich nach Einführung des vermeintlich papiersparenden Computers allein im Zeitraum 1983 bis 1993 etwa um 60 % gestiegen. Der Geschäftsführer der Berliner Kulturbox und Internet-Betreiber, Ingo Braun, gesteht beim täglichen Umgang mit World Wide Web immerhin ein, dass keiner mehr als drei Bildschirmseiten liest und sie folglich lieber gleich ausdruckt.

Das Wohnzimmer-Büro, so Internet-euphorische Stimmen, stoppe die Blechlawine auf den Straßen, Videokonferenzen würden im Jahr 2000 einige Milliarden Kfz-Kilometer einsparen. Die aktuellen deutschen Statistiken weisen allerdings in eine andere Richtung. In den letzten fünf Jahren nahmen die Geschäftsreisen im Westen um 15 Prozent, im Osten gar um 56 Prozent zu. Insbesondere die zunehmenden Verlagerungen von Produktions- und Dienstleistungsstandorten ins Ausland werden das Verkehrsaufkommen weiter erhöhen. Die virtuellen Reisemöglichkeiten dürften die realen Reiselüste ebenfalls eher verstärken, als zu stornierten Flugreisen führen.

Auch andere Befürchtungen profilierter Hightech-Kritiker sind nicht von der Hand zu weisen. "Künstliche Nachbarschaften" (KUBICEK et al. 1985) treten im Zuge telekommunikativer Vernetzung an die Stelle von realen zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Blauäugigkeit, mit der in einschlägigen Computerfachzeitschriften einer unkomplizierten Sozialisation von Kindern und Jugendlichen durch die neuen Medien das Wort geredet wird, zeugen von der allgegenwärtigen Dominanz wirtschaftlicher Interessen.

Reale Raum- und Zeiterfahrungen für Kinder, der direkte Umgang mit Gleichaltrigen oder Angehörigen zum Erlernen von Selbstbestimmung, Solidarität oder mit dem Ziel, Techniken und Strategien zur Alltagsbewältigung zu erwerben, haben hier keinen Platz. Stattdessen werden sie mit mehr oder weniger versteckten Werbebotschaften überhäuft, denen nach Meinung verschiedener Medienexperten mit dem derzeitigen Presserecht nicht mehr beizukommen ist.

Der renommierte Computerexperte J. Weizenbaum verweist auf ein Kernproblem der Überflutung moderner Lebens- und Arbeitskontexte mit medialer Interaktivität. Sie geht mit dem Rückzug ins ganz Einfache, das heißt mit einer dramatisch zu nennenden Reduktion von Komplexität einher. Man (frau) kann zwar noch zwischen einzelnen "Klischee-Happen" wählen. "Letztlich aber ist es nur eine Normierung und Anpassung, die plötzliche Freiheit genannt wird."

Die Bevölkerung in den armen Ländern ist von der modernen Technikentwicklung weitgehend abgekoppelt: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung hat fünf Jahre vor der Jahrtausendwende noch nie in ihrem Leben telefoniert; drei Viertel von ihnen kann nicht mit einem Taschenrechner umgehen.

3.

Die Hersteller vernetzter Systeme wenden sich fast ausschließlich an Info-Eliten und gut verdienende Mittelschichtsangehörige. Im Internet surfen in der Tat fast ausschließlich männliche Kunden unter 39 Jahren mit überdurchschnittlicher Bildung und gutem Einkommen. Dem steht die Ausgrenzung anderer sozialer Gruppen und die weitere Marginalisierung dünn besiedelter Regionen entgegen, die sich für kommerzielle Interessen nicht eignen.

Frauen haben bekanntlich weniger Geld zur Verfügung und überlegen sehr genau, ob sie ein neues Informationssystem benötigen. Als Akzeptanzkriterien für die Technikanwendung im Alltag (z.B. Teleshopping) nennen Frauen zu allererst Zeitersparnis und Arbeitserleichterung. Dennoch gibt es gerade von Seiten der Frauen zurückhaltende Nachfrage nach Einkäufen via Internet. Die Rangfolge der nachgefragten Produktgruppen, nämlich

  • Bücher und Literatur (49,8 % der Befragten),
  • Unterhaltungselektronik (44,7 %),
  • Mode und Kleidung (lediglich 18,6 %) und
  • Nahrungsmittel (13,1%)
widerspiegelt die Interessen und Präferenzen der Internetnutzer, nämlich die von Männern mit hoher Bildung und gutem Einkommen. Demgegenüber werden Alltagserfordernisse auch bei der Netztechnik bislang kaum berücksichtigt. Gleichzeitig erfolgt durch die neuen Netztechniken eine Leistungs(rück)verlagerung vormals bezahlter Erwerbsarbeit in unbezahlte Arbeit innerhalb des Privathaushalts, z.B. Telebanking oder Telebuchung (vgl. G. WINKER 1999). Derzeit verfügen lediglich 20 % aller Deutschen über einen Computer im Haushalt und nur 12 % nutzen ihn regelmäßig.

Die Bevölkerung in armen Ländern ist von der modernen Technikentwicklung weitgehend abgekoppelt: mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung hat fünf Jahre vor der Jahrtausendwende noch nie in ihrem Leben telefoniert; drei Viertel von ihnen kann nicht mit einem Taschenrechner umgehen. Die Cyber-Society geht an ihrem beschwerlichen Alltag vorbei.

4.

Haushaltstechnologien - auch in ihren vernetzten Varianten - sind fast ausschließlich von Männern in ihren Berufspositionen als Wissenschaftler oder Ingenieure entwickelt worden. Mag ihre technische Kompetenz noch so beeindruckend sein, mit dem häuslichen Aufgabenspektrum und den Bedürfnissen von Frauen, Eltern, Kindern, Kranken und Alten nach Behaglichkeit, emotionaler Unterstützung und einem kulturvollen Zusammenleben sind Männer in der überwältigenden Mehrheit nicht vertraut.

Davon zeugen einschlägige Untersuchungen über innerfamiliale Arbeitsteilungsverhältnisse ebenso wie Erhebungen zu geschlechtsspezifischen Zeitverwendungsmustern: Nach wie vor ist Hausarbeit ihre Sache nicht. Hinzu kommt, dass der Ursprung von Haushaltstechnik in aller Regel in der Industrie- und Militärforschung liegt. Erst über eine Art "Technologietransfer" finden technische Neuerungen dann schließlich Eingang in die informelle häusliche Ökonomie. Das bedeutet aber auch, dass Gewinnorientierung und machtpolitische Erwägungen Ausgangspunkt von Technikentwicklungen sind. Hier liegt eine entscheidende Ursache für das eklatante Defizit an gezielten, bedarfsorientierten technischen Lösungen im Alltag.

Modernste Technik führt demnach keineswegs folgerichtig zur Reduzierung traditioneller Rollenbilder. Im Gegenteil.

Außerdem hält sich das männliche Vorurteil hartnäckig, dass Frauen eine ausgeprägte Technikangst aufweisen. Demgegenüber ist richtig, dass weibliche Technikakzeptanz in den vergangenen Jahren im Vergleich zur Technikakzeptanz von Männern überproportional zugenommen hat. Frauen sind sehr wohl im Stande, konkrete Anforderungen an neue Technologien zu formulieren. Ihre Erwartungen richten sich auf sinnvolle technische Möglichkeiten zur Erleichterung bzw. besseren Koordinierung von Hausarbeit im Spannungsfeld von Erwerbs- und Privatbereich. Die Anschaffung technischer Haushaltsgeräte wird von ihnen zunehmend kompetent und nüchtern unter dem Aspekt erwartbarer Zeitersparnisse im Alltagszusammenhang erwogen. Auch ökologische Aspekte gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Modernste Technik führt demnach keineswegs folgerichtig zur Reduzierung traditioneller Rollenbilder. Im Gegenteil: Mädchen und Frauen werden als modefixiert und als Hausfrau angesprochen, Jungen und Männer als (künftige) Ernährer ihrer Familie, fit in Sachen Wechselkurs und Bankgeschäft. Unbeachtet bleibt bislang, dass sich Mädchen und Frauen durchaus auf die neuen Möglichkeiten im Internet einlassen, allerdings geht es ihnen nicht um "Bits und Bytes", sondern um die Verknüpfung von elektronischen und sozialen Netzen.

Ein zentraler Ausgangspunkt für die Anwendung vernetzter Technik im familialen Lebensbereich muss die Anerkennung des haushälterischen Management- und Expertinnenwissen von Frauen und Müttern sein.

5.

Gleichermaßen typisch sind Vorurteile, die in Konstruktionsbüros und Marketingetagen gegenüber der Technikakzeptanz älterer Menschen gehegt werden. Deshalb bleiben diverse Chancen-potenziale von technologischen Innovationen ungenutzt, die bei einer entsprechend sensiblen kulturellen und sozialen Kontextualisierung durchaus geeignet wären, den Lebensalltag im fortgeschrittenen Lebensalter zu erleichtern. Außerdem ist durch gerontologische Forderungen belegt, dass ältere Menschen technischen Neuerungen durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen, wenn dadurch die Selbstständigkeit ihrer Lebensführung und somit ein Stück Lebensqualität gesichert werden kann.

Während in den USA und Japan der "Silver Market" seit geraumer Zeit entdeckt worden ist, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland immer noch eine nicht einmal betriebswirtschaftlich begründbare Zurückhaltung gegenüber diesem Marktsegment. In besonderem Maße trifft das für Computerproduzenten und Anbieter vernetzter Technik zu, die die Lernfähigkeit der älteren Generationen gering schätzen.

6.

Ein zentraler Ausgangspunkt für die Anwendung vernetzter Technik im familialen Lebensbereich muss die Anerkennung des haushälterischen Management- und Expertinnenwissens von Frauen und Müttern sein. Sie können mit detailliertem Sachverstand Auskunft darüber geben, welche Alltagsprobleme und Aufgaben in modernen Dienstleistungshaushalten an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend auftauchen und inwiefern moderne Technik zwecks Arbeitserleichterung oder für die Umsetzung bestimmter Lebensweisekonzepte sinnvoll eingesetzt werden könnte.

Konstrukteure und Techniker wären gut beraten, diesem Know How nicht länger geringschätzig und arrogant zu begegnen, sondern es für eine zeitgemäße sozial- und umweltverträgliche (vernetzte) Technikanwendung zu nutzen. Dies würde allerdings voraussetzen, die vielfältigen Probleme der Alltagsversorgung im Privatbereich ernsthaft zu thematisieren und nicht als vergleichsweise unwichtig abzutun.

In diesem Zusammenhang kann die amerikanische Geschichte des Telefons geradezu als prototypisches Beispiel genannt werden: Frauen hatten das Telefon nach seiner Erfindung für Gespräche mit Freundinnen und Verwandten, zur Geselligkeit sowie zur Koordinierung ihrer sozialen Netzwerke verwendet, was die Telefonindustrie anfänglich als "triviales Geschwätz" abtat. Nach Ansicht der Hersteller war die technische Neuerung, das Telefon, nämlich zu Höherem bestimmt. Sie wollten es für technische Zwecke oder für die Telegrafie genutzt wissen. Erst durch seine hartnäckige und innovative Nutzung für persönliche Gespräche durch Frauen zog dieses Argument schließlich in die Werbung ein (WAJCMAN 1994).

7.

Vernetzte Technik mit ihren durchaus interessanten Möglichkeiten für Privathaushalte muss zielgruppenorientiert und damit haushaltstypenspezifisch entwickelt und angeboten werden.

Im Grunde handelt es sich um eine Binsenwahrheit: Was der jungen Generation an vernetzten Technikangeboten zugänglich gemacht wird, ist nicht unbedingt das, was SeniorInnen zur Unterstützung einer selbstständigen Lebensführung brauchen. Was Frauen und Mütter zur Bewältigung ihrer vielfältigen Aufgaben zwischen Haushalt, Kind(ern) und Beruf an vernetztem technischen Equipment benötigen, sieht sicher anders aus als das, was männliche Computerfreaks beim Surfen durch das Internet an technischen Extras für wünschenswert halten.

Chancenpotenziale vernetzter Haushaltstechnik zielgruppenbezogen zu erschließen, rechnet sich betriebswirtschaftlich durchaus, wenn differenziert an Bedürfnislagen angesetzt wird, anstatt KonsumentInnen die technischen Neuerungen gleichsam mit der gebieterischen Notwendigkeit eines dringenden Bedürfnisses (GORZ 1994) nachträglich zu offerieren.

Flop-Raten im Konsumgüterbereich zwischen 40 und 80 % dürfen selbst aus unternehmerischer Perspektive indiskutabel sein, wie sie es für SteuerzahlerInnen und aus einer ökologischen Sicht sind. Eine derartige Vergeudung an Humankapital, an natürlichen und finanziellen Ressourcen kann sich ein moderner und zukunftsfähiger Standort "Deutschland" schlichtweg nicht leisten. Das gilt für andere entwickelte Industriestaaten des reichen Nordens ebenso.

8.

Ingenieure und Hersteller digitaler und vernetzter Haushaltstechnik müssen zu der Erkenntnis vordringen, dass eine technisch optimale Lösung bei weitem nicht auch die technologisch beste Lösung darstellt. Die Überwindung der für Ingenieure typischen Technikfixierung würde deutlich machen, dass die Lösung bestimmter Probleme im Privathaushalt durch vernetzte Technik die Berücksichtigung soziologischer, psychologischer und anderer nicht technischer Faktoren voraussetzt.

Diese Forderungen lassen sich am besten durch ein Konzept der "konzertierten Technikbewertung" (ROPOHL 1983) in die Realität umsetzen. Verantwortungsgemeinschaften, bestehend aus KonsumentInnen, IngenieurInnen, Vertretern aus Wirtschaft und Politik müssen allerdings einen institutionellen Rahmen erhalten: Individuelle Verantwortungsethik bedarf der institutionellen Abstützung, wie umgekehrt solche Institutionen zur Technikbewertung vom individuellen Engagement profitieren.

Bei vernetzter Technik ist die Entwicklung einer partizipativen Kultur der Technikbewertung besonders wichtig. Ansonsten nämlich werden sich ungerichtete Botschaften im interaktiven Raum verlieren oder aber vernetzte Systeme fungieren lediglich als Arbeits- und Herrschaftsinstrument der neuen Info-Eliten.

9.

Die seit langem geforderte Reform technischer Studiengänge ist - jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland - bislang kaum vorangekommen. Die vom Verband Deutscher Ingenieure aufgestellte Zielgröße zur Verankerung von 20 % nicht technischer Studiengänge in den Ingenieur- und anderen technischen Wissenschaften wurde bislang an keinem Studienort der Bundesrepublik erreicht. Es ist angesichts der Bedeutung soziokultureller Rahmenbedingungen für eine gelinde Integration technisch verträglicher Systeme in gesellschaftliche Lebenszusammenhänge geradezu fahrlässig, weiterhin einseitig technikfixierte Studiengänge anzubieten, Damit wird die Spaltung zwischen technischem Expertentum und hoffnungslos abgeschlagenen Lebenswelten festgeschrieben, die die Artefakte so genannter autonomer Technikentwicklung am Ende ausbaden müssen.

Sinn und Zweck der Integration nicht technischer Studieninhalte ist darin zu sehen, Technik sowohl im Hinblick auf ihre interne Struktur als auch hinsichtlich ihrer soziokulturellen Einbettung systematisch zu qualifizieren.

Eine zentrale Aufgabe der Haushaltswissenschaften besteht darin, Zusammenhänge zwischen Technikentwicklung und Alltagsversorgung aufzudecken und kompetent und selbstbewusst in die Mainstream-Debatte einzubringen.

10.

Die Verbreitung der Telekommunikation ist - bei allem Für und Wider - nicht aufzuhalten. Es gibt im Prinzip nahezu alle Geräte und Anwendungen. Das Internet mit weltweit ca. 30 Mill. Benutzern ist längst Realität. In der Bundesrepublik Deutschland existiert bereits ein vergleichsweise leistungsfähiges Netz (Telefon, ISDN, Kabel), und schon jetzt gibt es hier zu Lande über 100.000 Teleheimarbeitsplätze. Gleichzeitig nimmt die Zahl derer laufend zu, die täglich per Video konferieren.

Neue Technologien haben immer Risiken und Chancen. Deshalb müssen sie gestaltet werden. "Cyberspace is the funhouse mirror of our own society. Cyberspace reflects our values and our faults ... Itīs a mirror you can fold into packets and send across continents at the speed of lights. But itīs also a mirror in the classic sense of smoke-and-mirror - a place where you might be robbed or cheated or deceived, a place where you can promised a rainbow but given a mouthful ashes" (W. Gibson). Bislang gibt es in der Bundesrepublik keine öffentliche Debatte über die wünschenswerte Zukunft der Telekommunikation. Bereits initiierte Einführungsprojekte und Modellversuche sind überwiegend technikgesteuert und vernachlässigen soziale und ökologische Dimensionen.

Eine zentrale Aufgabe der Haushaltswissenschaften besteht darin, Zusammenhänge zwischen Technikentwicklung und Alltagsversorgung aufzudecken und kompetent und selbstbewusst in die Mainstream-Debatte einzubringen. Es gilt gesellschaftsweit zu begreifen, dass ein von den alltäglichen Versorgungsbedürfnissen vieler sozialer Gruppen abgekoppeltes Technikverständnis folgerichtig zu Technopolen (N. Postman) führen wird, die die vielfältigen Anforderungen der Alltagsbewältigung auch in Zukunft ignorieren werden.

Außerdem wird sich dann eine Erkenntnis aus der industriesoziologischen Forschung ein weiteres Mal bestätigen: Die Einführung neuer technischer Systeme dient der Verfestigung hierarchischer Arbeitsteilungsverhältnisse weit mehr, als dass sie zu ihrer Reduzierung beiträgt. Es sei denn, es gelingt, Netztechniken gesellschaftsweit in einem sozialverträglichen Sinne zu gestalten und sich den latenten Gefahren einer unreflektierten Technikimplementation bewusst zu sein.

Literaturhinweise:
Gorz, A.: Ökonomische Rationalität und Lebenswelt. In: Honneth, A. (Hg) Pathologien des Sozialen. Die Aufgaben der Sozialphilosophie, Frankfurt a.M., S. 235-259

Hansen, U. u. T. Raabe: Konsumentenbeteiligung an der Produktentwicklung von Konsumgütern. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 61 (1991) 2, S. 171-194 Haute Couture goes Hightech. Com, Januar 1996, S. 38 f.

Roether, D., Niemeyer, A.: Netz oder Nie. Von der Frauenbewegung zum Technofeminismus: Warum Frauen den Sprung in virtuelle Welten wagen, In: Freitag, 8.12.1995

Ropohl, G.: Neue Wege, die Technik verantworten. In: Lenk, H. und G. Ropohl (Hg.): Technik und Ethik, Stuttgart 1987, S. 149-176

Wajcman, J.: Technik und Geschlecht. Die feministische Technikdebatte. Frankfurt/M., New York 1994 Schindler, B.: Technikfolgenabschätzung als Gegenstand der Ingenieurausbildung: Diskussionsstand und Realisierung, In: Beiträge zur Hochschulforschung, Heft 1/1991, S. 35-65

Schweitzer, R. von: Der Privathaushalt als Privathaushalt in der wissenschaftlichen Forschung. In: Verbraucherpolitische Hefte, Nr. 12, 1991, S. 7-17

Sommer, A.: Lehrer vom Privathaushalt. Teil I. Berlin 1931 Spaß für die ganze Familie, Com, November 1995, S. 28 f.

Weizenbaum, J.: Anpassung, die plötzlich Freiheit genannt wird. Gespräch mit Joseph Weizenbaum. In: Freitag, 01.09.1995, Nr. 36, S. 6

Winker, G. (1999): Geschlechterverhältnis und vernetzte Systeme. In: Zeitschrift für Frauenforschung, Heft 1+2, S. 9-25

Sackmann, R.: Technischer Wandel und Generationsunterschiede. In: WSI-Mitteilungen, Heft 8/1995, S. 520-525


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Holger H. Lührig / Marion Lührig
- Prof. Dr. Herbert Kubicek
- Prof. Dr. Uta Meier
- Dr. Hermann Rotermund

Round-Table 1:
Multimedia-Nutzung und Lernen:
- Renate Hendricks
- Gabriele Lichtenthäler
- Prof. Dr. Birgit Dankert

Round-Table 2:
Bund/Länder-Programme auf dem Prüfstand
- Roland Simon
- Prof. Dr. Gabriele Winker