zwd-FRAGEN AN KATARINA BARLEY : „Ich will eine gleichstellungspolitische Rolle rückwärts verhindern”

24. Mai 2019 // Dagmar Schlapeit-Beck

Sieben Fragen hat das zwd-POLITIKMAGAZIN an die Spitzenkandidatin der SPD für die Wahlen zum Europäischen Parlament, Bundesjustizministerin Katarina Barley gerichtet. Das Credo in ihren Antworten: Die Herstellung der Geschlechterparität muss Maxime des europäischen Handelns werden.

Die EU-Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley. - Bild: spd.berlin
Die EU-Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley. - Bild: spd.berlin

zwd-POLITIKMAGAZIN: Die EU-Kommission hat die Bundesrepublik Deutschland als einen von acht Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Frauenerwerbsquote (2017 im EU-Durchschnitt 66,4%) zu erhöhen. Was sollte Deutschland zur Erhöhung der Frauenerwerbsbeteiligung unternehmen?

Katarina Barley: Deutschland hatte 2017 mit 75% eine der höchsten Frauenerwerbsquoten in Europa und belegt nach Schweden und Litauen inzwischen Platz 3! Das 75%-Ziel des Europäischen Rates im Rahmen der Strategie „Europa 2020“ ist damit erfüllt. Allerdings: Überdurchschnittlich hoch ist in Deutschland mit 47% auch die Teilzeitquote der Frauen – sie liegt EU-weit ebenfalls an dritter Stelle. Dabei würden viele Frauen, vor allem Mütter, gerne mehr arbeiten. Wir wollen deshalb die Rahmenbedingungen für eine partnerschaftliche Ar­beitsteilung in der Familie verbessern, zum Beispiel durch ­unser Modell einer geförderten Familienarbeitszeit. Und natürlich sorgen wir weiterhin für ein bedarfsgerechtes Bildungs- und Betreuungssystem für Kinder in Krippen, Kitas, Horten und Ganztagsschulen. Mit dem künftigen Rechtsanspruch auf ein Ganztagsangebot für Grundschulkinder machen wir hier einen großen Schritt nach vorn.

Die Arbeit der Kommission im Bereich der Geschlechtergleichstellung beruht auf dem unverbindlichen ­Arbeitsdokument „Strategisches Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter 2016-2019“. Das Dokument hat keinen ­rechtsverbindlichen Charakter. Was unternimmt die SPD, um wieder zu einer verbindlichen EU-Gleichstellungsstrategie 2019-2024 zu kommen?

Katarina Barley: Wir fordern eine Fortsetzung der 2015 ausgelaufenen Gleichstellungsstrategie. Dazu gehören nicht nur spezifische Ziele, Maßnahmen und Sanktionen, sondern auch die konsequente Anwendung von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting in allen Bereichen.

Frauen stellen bisher 36,4 % der 749 Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP), dieses Ergebnis liegt ­unter dem bisherigen Spitzenwert von 37,3 % im Jahr 2016. Finnland hebt sich mit 76,9 % Frauen unter seinen MdEP deutlich positiv ab. Wie will die SPD den Frauenanteil im ­Europaparlament verbessern?

Katarina Barley: Wir wollen mehr Frauen im Europaparlament durch ­verbindliche Reißverschlusssysteme bei den nationalen Listenaufstellungen. Nur wenn Frauen mitentscheiden, können auch ­Entscheidungen getroffen werden, die Frauen und die Auswirkungen unterschiedlicher Politiken auf Frauen im Blick haben. Wir fordern daher die Mitgliedsstaaten und Unionsorgane auf, dem Grundsatz der Gleichstellung der Geschlechter Rechnung zu tragen und alle Parteien zu quotierten Wahllisten zu verpflichten – mit dem Ziel der Parität.

Was unternimmt die SPD, um eine geschlechterparitätische Besetzung aller Ämter und Mandate auf allen Entscheidungsebenen der EU zu erreichen?

Katarina Barley: Wir wollen die paritätische Besetzung der Europäischen Kommission – gleiche Anzahl von Kommissarinnen und Kommissaren. Keine der Spitzenpositionen der EU darf davon ­ausgenommen sein: Frauen und Männer müssen in allen ­europäischen Institutionen, in allen Hierarchiestufen, gleichermaßen vertreten sein.

Wie steht die SPD zur Verabschiedung der Vereinbarkeitsrichtlinie „Work-Life Balance Directive“ und der Führungspositionsrichtlinie „Women on Boards Directive“?

Katarina Barley: Wir wollen, dass die EU-Richtlinie zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf konsequent umgesetzt wird. Unser Ziel bleibt der echte Mentalitätswechsel, damit auch Pflege-, Haus- und Betreuungsarbeit künftig partnerschaftlich und gerechter aufgeteilt werden. Dies wird auch dazu beitragen, die bestehende Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu beseitigen. Die 2012 vorgelegte Richtlinie zu einer EU-weiten Quote für Frauen in Aufsichtsräten muss vom Europäischen Rat endlich verabschiedet werden.

Wie steht die SPD zur Forderung nach verbindlichen und einheitlichen europäischen Regelungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern?

Katarina Barley: Wir werden die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020 dazu nutzen, die Gleichstellungspolitik in Europa deutlich voranzubringen. Denn unser Ziel bleibt eine aktive Gleichstellungspolitik, die Wahrung der Frauenrechte und die Beseitigung struktureller Diskriminierung. Die Gleichstellung gehört zu den Grundwerten der Europäischen Union und zum ­Grundpfeiler der europäischen Identität.

Welche gleichstellungspolitischen Risiken sehen Sie durch den Aufstieg rechtspopulistischer und nationalistischer Kräfte in Europa?

Katarina Barley: In vielen Mitgliedsstaaten formieren sich konservative und ­rechtspopulistische Kräfte gegen Frauenrechte und eine fortschrittliche Gleichstellungspolitik. Ich will, dass Gleichstellung wieder eine strategische Priorität in Europa wird, um eine ­­gleichstellungspolitische „Rolle rückwärts“ zu verhindern.


Die Fragen stellte Dr. Dagmar Schlapeit-Beck.

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