Potsdamer Konferenz - Forum VI

Prof. Dr. Gabriele Winker

Mehr Chancengleichheit für Männer und Frauen in Bildung und Beruf durch globale Vernetzung?

Im historischen Prozess zu mehr Chancengleichheit hatte der kostenlose Zugang zu Informationen und Bildung für Frauen immer eine große Bedeutung. Aufgabe einer Bildungspolitik in der Informationsgesellschaft ist es, allen gesellschaftlichen Gruppen, Frauen wie Männern Zugang zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, speziell zum Internet zu ermöglichen. Noch ist in der Bundesrepublik nur eine kleine Minderheit im Internet aktiv und für viele Frauen besteht die Gefahr, dass sie von der informationstechnischen Entwicklung abgekoppelt werden. Gründe sind in fehlenden kostengünstigen Zugangsmöglichkeiten zum Internet ebenso zu finden wie in den Netzinhalten und Netzanwendungen, die nicht primär an den Bedürfnissen und Interessen von Frauen anknüpfen.

1.
Ungleichheit beim Netzzugang

Frauen sind im Internet unterrepräsentiert. Allerdings geht mit dem Zuwachs der Teilnehmerzahlen im Internet auch eine "Normalisierung" der Zielgruppe einher. Die soziodemographische Zusammensetzung der Internetgemeinde gleicht sich immer mehr der Gesamtpopulation in der Gesellschaft an. So werden die AnwenderInnen nicht nur immer älter und von den Berufsgruppen durchmischter, sondern es gehen auch immer mehr Frauen ins Netz. In jüngeren Gruppen, die das Internet nutzen, vor allem unter Studierenden und Auszubildenden sind besonders viele Frauen vertreten (Fittkau/Maaß 1995-99).

Es ist wichtig, den Zugang zum Internet für alle Frauen sicherzustellen.

Wichtig ist es, den Zugang zum Internet für alle Frauen sicherzustellen. Auch wenn der Frauenanteil im deutschsprachigen Internet immer weiter ansteigt, gibt es noch genug Gruppen, die sich diesen Zugang zu Information und Kommunikation nicht leisten können. Als ein Beispiel nenne ich nur die vielen alleinerziehenden Mütter, denen oft genau das fehlt, was für den Zugang zu den neuen Medien notwendig ist: Geld, Zeit und oft auch eine Erwerbstätigkeit, in der ein Internetzugang selbstverständlich zur Verfügung gestellt wird.

2.
Inhalte im Internet
Einseitigkeit bei den Themen

Auch müssen wir in Zukunft noch viel genauer auf die Inhalte und die Anwendungen im Internet schauen. Es muss untersucht werden, ob vernetzte Systeme für Frauen überhaupt einen deutlichen Nutzen bringen. So sehe ich die entscheidende Ursache für die zögernde Netzbeteiligung von Frauen in fehlenden für unterschiedliche Frauengruppen interessanten inhaltlichen Angeboten im Netz. Das Internet wird noch weitgehend von den Interessen der Hauptnutzer, den weißen, qualifizierten und jungen Männern bestimmt. So ist es offensichtlich geprägt von den Freizeitinteressen vieler Männer - ich nenne nur Auto, Computer, Fußball und leider auch Pornographie.

Aber nicht nur im privaten WWW-Angebot, sondern auch in den öffentlichen WWW-Seiten fehlen speziell für Frauen interessante Informationen, was sich am Beispiel der Stadtinformationssysteme zeigen lässt (vgl. Winker/Preiß 2000). Oft findet dort eine Netznutzerin gerade einmal die Kommunale Frauenbeauftragte und die Frauen-beauftragte der Universität. Viele politische und kulturelle Frauengruppen sowie frauenspezifische Beratungsangebote fehlen voll-ständig oder sind ohne weitere Informationen nur mit ihrer Anschrift vertreten.

Auch der Spitzenreiter im Städte-Online-Test 1998, die Stadt Mannheim, beinhaltet kaum frauenrelevante Seiten. Zwar gibt es dort eine Suchmöglichkeit, doch unter dem Stichwort "Frauen" ist dann doch nur wieder das Frauenbüro zu finden. Schon bei der Suche nach "Lesbe" oder "Diskriminierung" ist Fehlanzeige, und die Nutzerin wird aufgefordert, doch die Schreibweise des Begriffs zu überprüfen.

Allerdings gibt es auch bereits erste positive Beispiele. Von der Qualität insgesamt deutlich besser ist z.B. das Stadtinformationssystem Bremen (vgl. Kubicek et al. 1997). Dort lassen sich über den "Notdienst" viele frauenrelevanten Anlaufstellen finden u.a. zu den Themen "Abtreibung", "Frauenhäuser", "Mädchenhilfe" und "Sexuelle Gewalt". Auch unter "Soziales" ist ein breites städtisches Angebot sichtbar. Über die Sucheingabe wird auch unter dem Stichwort "Lesbe" oder "Diskriminierung" noch die richtige Spur gefunden. Bei dem Stichwort "Frauensauna" oder "Nachttaxi", obwohl in Bremen vorhanden, gibt dann aber auch das Bremer Stadtinformationssystem auf mit der frustrierenden Meldung "Suchbegriff nicht vorhanden".

Inhaltliche Verengung durch Suchmaschinen

Neben Stadtinformationssystemen gehören Suchmaschinen und Suchkataloge zu den wichtigsten Portalen im Netz. Je mehr frauenrelevante Themen im Netz angeboten werden, umso wichtiger wird das Auffinden dieser Seiten, da das Internetangebot sich zunächst völlig unstrukturiert darstellt. Bei der rapide wachsenden Anzahl von Internetseiten kann die Suche, Verschlagwortung und Katalogisierung von Informationsangeboten nie vollständig sein. Deutlich wird, dass der Aufbau der Schlagwortkataloge einseitig an männlichen Interessieren orientiert ist.

So erscheint beim größten deutschen Katalog - www.web.de - "Auto" als eigene Hauptkategorie. Im Vergleich zu Yahoo, dem größten amerikanischen Suchkatalog fällt die starke konsum- und freizeitorientierte Gliederung auf. Yahoo fasst Sport und Freizeit in eine Kategorie, während das deutsche WEB.DE die beiden Bereiche trennt. Im deutschen Katalog fehlt dagegen im Vergleich zum amerikanischen Yahoo "Bildung und Ausbildung" und "Gesundheit" auf der ersten Ebene.

Nur wenn sich Frauenalltag im Netz widerspiegelt, kann auch für die Mehrheit von Frauen das erreicht werden, was unter dem Begriff der Medienkompetenz als aktive gesellschaftliche Teilhabe und Einflussnahme gefordert wird.

Bei der Suche nach Kategorien, unter denen speziell für Frauen interessante Einträge gefunden werden können, wird deutlich, dass Frauenthemen nur sehr willkürlich unter bestimmten Rubriken eingeordnet werden, so dass ein gezieltes Suchen nach Frauenthemen kaum möglich ist. Besonders bemerkenswert ist dabei die Einordnung von Hausfrauenseiten. Da es Haushalt als Kategorie nicht gibt, sind Hausfrauenseiten unter dem Pfad "Freizeit - Essen & Trinken - Rezepte", eine andere unter "Freizeit - Unterhaltung - Humor" zu finden.

Sowohl die Suchfunktionen als auch die Bereitstellung der Inhalte müssen in Bezug auf die Sichtweisen von Frauen deutlich verbessert werden. Gerade öffentliche Einrichtungen müssen darauf verpflichtet werden, Frauenrealitäten auf ihren Internetseiten qualitativ hochwertig und den Möglichkeiten des Mediums entsprechend abzubilden und damit für Frauen wissenswerte Informationen zur Verfügung zu stellen. Denn nur wenn sich Frauenalltag im Netz widerspiegelt, kann auch für die Mehrheit von Frauen das erreicht werden, was unter dem Begriff der Medienkompetenz als aktive gesellschaftliche Teilhabe und Einflussnahme mit Recht gefordert wird.

3.
Anwendungen im Netz
Fehlender Einsatz vernetzter Systeme

im Haushalt Über frauenadäquate Netzinhalte hinaus sind auch Netzanwendungen wichtig, die dazu beitragen, Haus- und Familienarbeit zu unterstützen. Es gibt zahlreiche Netzanwendungen in der beruflichen Sphäre; vernetzte Systeme im Reproduktionsbereich und damit auch im Haushalt fehlen dagegen weitgehend. Dies ist nicht verwunderlich, da Männer in ihrer Eigenschaft als Ingenieure und Produzenten, denen Hausarbeit weitgehend fremd ist, die Technik gestalten für den Gebrauch durch Frauen in ihrer Eigenschaft als Hausarbeiterinnen (Wajcman 1994, S.128). So werden bisher kaum Überlegungen angestellt, wie vernetzte Systeme in den Haushalten zu Arbeitseinsparungen und Zeitreduzierung beitragen könnten.

Arbeitseinsparung im Haushaltsbereich

Viele Frauen wollen berufliche und private Lebensbereiche verbinden. Dies führt gerade für berufstätige Frauen mit Kindern zu enormen zeitlichen Belastungen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass in einer Untersuchung von Meyer und Schulze (1996, S.54) auf eine Frage nach Akzeptanzkriterien für einen Technikansatz im Alltag als erste Prioritäten Arbeitsreduzierung und Arbeitserleichterung genannt wurden. Technik-unterstützte Dienstleistungen, mit denen der permanenten Zeitnot begegnet werden könnte, sind von besonderem Interesse. Zu einer Erleichterung im Alltag und zur Zeiteinsparung könnte Teleshopping beitragen. Damit ließen sich Wegezeiten reduzieren und der Aufwand einschränken, unter-schiedliche Anforderungen zeitlich zu synchronisieren.

Fakt ist allerdings, dass es im deutschen Web-Katalog zwar viele Einträge unter Online-Einkaufen gibt, die allermeisten betreffen allerdings Computer und Zubehör. Unter Nahrungs- und Genuss-mittel finden sich gerade noch einige Hundert Einträge, wobei der Großteil davon die Online-Getränkebestellung betreffen, eine der wenigen von Männern durchgeführte Haushaltstätigkeit. Unter Supermärkten werden dann nur noch einzelne wenige Angebote aufgeführt.

Managementsystem zur Koordinierung heterogener Zeitstrukturen

Aber auch andere Anwendungen, die zur Koordination von Gruppen das Netz benutzen, sind blind gegenüber den Anforderungen der Integration unterschiedlicher Arbeits- und Lebensbereiche, so z.B. die elektronischen Terminplaner wie z.B. Schedule und Outlook von der Firma Microsoft. Dort gibt es ausgereifte Funktionen, um unterschiedlichste berufliche Termine zu planen und mit KollegInnen zwecks Terminabsprachen zu verknüpfen. Die zweite Arbeitsrealität - das unbezahlte Tätigsein im Bereich der Haus- und Sorgearbeit - ist diesen elektronischen Terminkalendern gerade einmal einen Button wert.

Es können private Termine aufgenommen und als privat gekennzeichnet werden. Dies bedeutet dann, sie werden genauso behandelt wie berufliche Termine mit einem eindeutigen zeitlichen Anfang und einem eindeutigen zeitlichen Ende. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der Inhalt dieser privaten Termine wie z.B. das Geburtstagskaffeetrinken bei Oma bei Dritten nicht eingeblendet wird.

Es darf bei strategischen Überlegungen nicht nur darum gehen, dass mehr Frauen das Internet nutzen; vielmehr müssen Frauen an der Erstellung der inhaltlichen Netzangebote und an der Gestaltung der Soft- und Hardware beteiligt sein.

Hier wird von den Software-Entwicklern vergessen, dass sich Zeitbedarfe aus den verschiedenen Arbeitswelten in ihren Formen unterscheiden. Um diese Alltagsorganisation von Frauen insbesondere mit Kindern zu erleichtern, sind Management-Systeme vorstellbar, mit denen für eine Person unterschiedliche Terminkalender geführt werden könnten - z.B. für eigene berufliche Termine und für die Termine der Kinder -, die je nach Bedarf übereinander gelegt werden könnten.

Dabei müsste berücksichtigt werden, dass es Aufgaben gibt, die zwar wegen z.B. der Aufsicht von Kindern und pflegebedürftigen Menschen an einem bestimmten Ort gebunden sind, zu denen aber parallel auch andere Aufgaben abgewickelt werden können wie z.B. kleinere Besprechungen. Auch ließen sich eigene Termine mit dem Terminkalender von möglichen Betreuungspersonen verknüpfen. Ein Terminkalender, der softwaretechnisch in der Lage ist, die Unterschiedlichkeit der Zeitstrukturen aufzunehmen und mit Aufgabenüberschneidungen umzugehen, könnte das heterogene Zeitmanagement, das vor allem von Frauen tagtäglich gefordert wird, technisch unterstützen.

4.
Ausblick

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vernetzten Systeme in den hier untersuchten Bereichen das gesellschaftlich Herrschende und damit das patriarchale Geschlechterverhältnis stützen und zwar durch den ungleichen Zugang von Frauen und Männern zum Netz, durch einseitige Netzinhalte und durch Anwendungen im Netz, die an der männlichen Normalbiographie ausgerichtet sind. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da eine im sozialen Prozess entstandene Computertechnologie nicht die grund-legenden Rahmenbedingungen geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung aufbrechen kann. Dazu bedarf es struktureller Veränderungen wie die Umverteilung und Neubewertung von Arbeit durch Begrenzung der Erwerbsarbeitszeit, durch neue Formen sozialer Absicherung und durch Aufwertung von Haus- und Sorgearbeit (vgl. Winker 1998).

Vernetzte Computertechnologie kann jedoch den Informationsbedürfnissen und Koordinierungsanforderungen Rechnung tragen, die sich aus den weiblichen Patchwork-Biographien ergeben. Denn die Feststellung, dass die Entwicklung vernetzter Systeme bisher durch die männliche Sichtweisen geprägt und an der männlichen Normalarbeitsbiographie orientiert ist, heißt gerade nicht, dass es keinerlei Ansatzpunkt für Veränderung gibt. Die Zukunft der Netztechnik ist offen, da sie von gesellschaftlichen Prozessen beeinflusst wird. Dies beinhaltet, dass vernetzte Systeme durch aktiv vorgetragene und durchgesetzte Fraueninteressen veränderbar sind.

Um neue Möglichkeiten im Interesse von unterschiedlichen Frauenbiographien auszuloten und voranzubringen, darf es bei den strategischen Überlegungen zum Umgang mit vernetzten Systemen nicht nur darum gehen, dass mehr Frauen das Internet nutzen. Darüber hinaus müssen Frauen beteiligt sein an der Erstellung der inhaltlichen Netzangebote und an der Gestaltung der Soft- und Hardware. Als aktive Netzgestalterinnen müssen wir darüber nachdenken, wie unsere Zukunftsvisionen auch durch vernetzte Systeme unterstützt werden können.

Literatur:
Fittkau, Susanne; Maaß, Holger: W3B-Umfragen von 1995 - 1999, http://www.w3b.de/ergebnisse

Kubicek, Herbert et al. (1997): www.stadtinfo.de. Ein Leitfaden für die Entwicklung von Stadtinformationen im Internet. Heidelberg: Hüthig

Meyer, Sibylle; Schulze, Eva> (1996): Ein neuer Sprung der technischen Entwicklung: Vernetzte Systeme für private Haushalte. In: Gräbe, Sylvia (Hrsg.): Vernetzte Technik für private Haushalte. Intelligente Haussysteme und interaktive Dienste aus Nutzersicht. Frankfurt, New York: Campus, S. 35-63

Wajcman, Judy (1994): Technik und Gesellschaft. Die feministische Technikdebatte. Frankfurt, New York: Campus

Winker, Gabriele (1998): Virtuelle Unordnung im Geschlechterverhältnis. - Umverteilung von Arbeit als Chance. In: Winker, Gabriele; Oechtering, Veronika (Hrsg.): Computernetze - Frauenplätze. Frauen in der Informationsgesellschaft. Opladen: Leske+Budrich, S. 13-32

Winker, Gabriele, Preiß, Gabriele (2000): Unterstützung des Frauen-Alltags per Mausklick? Zum Potenzial elektronischer Stadtinformationssysteme. In: Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien, Heft 1+2/2000, S.49-80

Anmerkung:
Die empirischen Daten dieses Artikels beruhen auf Recherchen im Internet im Herbst 1999.


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Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Holger H. Lührig / Marion Lührig
- Prof. Dr. Herbert Kubicek
- Prof. Dr. Uta Meier
- Dr. Hermann Rotermund

Round-Table 1:
Multimedia-Nutzung und Lernen:
- Renate Hendricks
- Gabriele Lichtenthäler
- Prof. Dr. Birgit Dankert

Round-Table 2:
Bund/Länder-Programme auf dem Prüfstand
- Roland Simon
- Prof. Dr. Gabriele Winker