Potsdamer Konferenz - Forum VI

Renate Hendricks

Chancengleichheit benötigt neue Medien

Tatsächlich wollen bislang nur wenige Schulen wahrhaben, wie revolutionär sich die Schule verändern wird, wenn die neuen Möglichkeiten des Lernens sowohl über Internet als auch über Lernsoftware - auf jeden Fall jedoch durch die Nutzung von Computern - wirklich Eingang in die Schulen finden. Dementsprechend gering ist die Zahl der Schulen, die diesen Prozess aktiv und kreativ bisher wirklich nutzen und voran treiben.

Der Umgang mit dem Computer wird heute weniger als wichtiges Werkzeug zur Wissensbeschaffung, zum Wissenserwerb und Training gesehen; vielmehr hängt ihm in manchen Diskussionen immer noch die Aura eines höchst suspekten Spielobjektes oder auch Verführers für Kinder und Jugendliche an. Die derzeitig politische Diskussion ist insoweit sehr hilfreich.

Nur wenige Schulen in der Bundesrepublik Deutschland können von sich behaupten, dass sie eine optimale Versorgung mit Hardware und Software besitzen. Die Behauptung, dass alle Lehrer und Lehrerinnen einer Schule den Umgang mit neuen Medien beherrschen, lässt sich nun überhaupt nicht aufstellen.

Trotz der teilweise gewaltigen Bemühungen einzelner Kommunen und der Länder, die Schulen mit neuen Medien auszustatten, können wohl nur wenige Schulen in der Bundesrepublik Deutschland von sich behaupten, dass sie eine optimale Versorgung mit Hardware und Software besitzen. Die Behauptung, dass alle Lehrer und Lehrerinnen einer Schule den Umgang mit den neuen Medien beherrschen und diese adäquat im Unterricht einsetzen können, lässt sich nun überhaupt nicht aufstellen.

Mit dem richtigen Einsatz des Mediums Computer im Unterricht kann ein Grad des differenzierten Unterrichtes erreicht werden, von dem die Reformpädagogik nur träumen kann. Durch den Einsatz von neuen Medien wird selbstgesteuertes Lernen für Schüler und Schülerinnen in großem Umfang möglich. Selbstgesteuertes Lernen ist eine Lernform, bei der die Lernenden die wesentliche Entscheidung, ob, wie, wann und worauf hin gelernt wird, gravierend und folgenreich selbst beeinflusst werden kann, sagt Weinert (München 1982).

Lernen mit neuen Medien bedarf aber einer professionellen Unterstützung der Lernenden. Nach Auffassung des Bundeselternrats gehören in jeden Klassenraum mehrere Computer. Alle Lehrer und Lehrerinnen müssen diese sinnvoll in den Unterricht integrieren können. Der Unterricht muss Phasen des selbsttätigen Lernens haben, das zu Hause fortgesetzt werden kann. Tatsächlich werden die Schulen aber von der Entwicklung auf dem Gebiet der neuen Medien überfordert. Der Bundeselternrat sieht die Notwendigkeit, dass alle Schüler und Schülerinnen den Umgang mit den neuen Medien erlernen müssen. Die Vermittlung der vierten Kulturtechnik ist in den Schulen längst überfällig.

Dabei kann es nicht darum gehen, Schüler und Schülerinnen in sogenannten Computerräumen in wenigen Unterrichtsstunden im Jahr in die Geheimnisse der Programmiersprachen einzuführen. Der Umgang mit dem Computer ist der Umgang mit einem "lebensnotwendigen Werkzeug". Es ist die Überzeugung des Bundeselternrates, dass alle Kinder und Jugendliche den Computer als integralen Lernbestandteil des Unterrichts zur Wissensvermittlung und zum selbständigen Lernen erfahren müssen. Die Nutzung der neuen Medien darf nicht zu neuen Bildungsbenachteiligungen für einzelne und damit zur weiteren Ausweitung der Zwei-Klassen-Gesellschaft im Bildungssystem führen. Die Forderung nach einem Notebook ist sicherlich eine mögliche Denkart. Allerdings nicht die Einzige.

Die Nutzung der neuen Medien darf nicht zu neuen Bildungsbenachteiligungen für Einzelne und damit zur weiteren Ausweitung der Zwei-Klassen-Gesellschaft im Bildungssystem führen.

Wir haben in diesem Land einen staatlichen Bildungsauftrag. Dies ist unstrittig, auch wenn die Länder und die Kommunen unter der Last der Bildungsausgaben stöhnen und fast zusammenbrechen. Trotzdem darf man die Länder und die Kommunen nicht aus ihrer Verpflichtung entlassen, die bestmögliche zeitgemäße Bildung und Ausstattung in den Schulen anzubieten. Die Forderung, alle Schüler und Schülerinnen mit einem Laptop auszustatten, ist zwar vielleicht zukünftig denkbar, zeichnet sich aber derzeit nicht als praktikable Lösung am Horizont ab, auch wenn diese Forderung in der Zwischenzeit von der Bundesbildungsministerin selber erhoben wird.

Zum jetzigen Zeitpunkt können Eltern die generelle Anschaffung von Notebooks für alle Schüler und Schülerinnen nicht fordern. Die Notebooks sind zu teuer und empfindlich, bieten nur wenige Vorteile gegenüber vernetzten Computern zu Hause und in der Schule und würden in den Anschaffungs- und Wartungskosten ausschließlich zu Lasten der Eltern gehen.

Dennoch ist die Forderung nach der Nutzung eines Computers für alle Schüler und Schülerinnen unabdingbar. Die derzeitige finanzielle Situation von Familien in dieser Gesellschaft ist aber nicht zum Besten bestellt. Eltern sind - und dies nicht erst seit der entsprechenden Feststellung des Bundesverfassungsgerichts - die finanziell am stärksten belastete Gruppe unserer Gesellschaft. Hinzu kommt, dass Eltern finanzielle Anstrengungen über das normale Maß hinaus nur dann ins Auge fassen, wenn deutlich wird, welchen Mehrwert ihre Kinder von diesen Investitionen wirklich haben. Viele Eltern werden aber auch dann noch nicht in der Lage sein, ihre Kinder medial für den Unterricht auszustatten.

Hinzu kommt, dass die Notwendigkeit eines eigenen Computers erst dann für Eltern deutlich erkannt wird, wenn Schulen sich soweit ändern, dass der Einsatz des Computers Sinn macht und sich für dieses Konzept eine deutliche Evidenz gibt. Dies ist an die handelnden Personen gebunden. Gerade diese Personen werden mit darüber entscheiden, wie leistungsfähig und chancengleich die Schule heute ihren Auftrag wird erfüllen können.

Deshalb ist eine veränderte Lehrkräfteausbildung unabdingbar. Zugleich muss unmittelbar eine intensive und flächendeckende Lehrkräftefortbildung zum Umgang mit neuen Medien einsetzen. Ohne die Lehrer und Lehrerinnen wird es keine konzeptionell anderen Lernerfahrungen in den Schulen geben. Damit entscheiden gerade die Lehrer und Lehrerinnen über die Bildungschancen derjenigen, die eine weitreichendere Förderung durch das Elternhaus nicht erhalten.

Der Bundeselternrat fordert vom Staat eine angemessene und zeitgemäße Ausstattung mit Computern für alle Schulen. Schulen sind und dürfen keine Entsorgungsstätten für ausrangierte Geräte werden. Schulen brauchen aber auch technische Assistenten, die die Netzbetreuung und Wartung der Systeme übernehmen.

Der Bundeselternrat fordert vom Staat eine angemessene und zeitgemäße Ausstattung mit Computern für alle Schulen. Schulen sind und dürfen keine Entsorgungsstätten für ausrangierte Geräte werden. Schulen benötigen gute, leistungsfähige und qualitätsvolle, den Bedürfnissen des Lernenden angepasste Software. Schulen brauchen aber auch technisch versierte Personen, die die Netzbetreuung und Wartung der Systeme übernehmen.

Der Umgang mit dem Werkzeug Computer muss von der ersten Klasse an gelernt werden. Lernformen sind so zu verändern, dass mit dem Computer eigenständiges und selbständiges Lernen in der Schule ermöglicht wird. Nur so kann die Schule das Rüstzeug vermitteln, um auf lebenslanges Lernen vorzubereiten. Zur Vermittlung von Medienkompetenz gehört vor allem die Befähigung zur Urteilsfähigkeit, zur Wertung und Bewertung, zur Reflexion und zur Kritik von Inhalten. Wenn Schule das nicht vermittelt, wird die Nutzung der neuen Medien nicht zu mehr Chancengleichheit, sondern zu mehr Ungerechtigkeit führen.

Nur wenn wir ernsthaft in den Bereich Bildung in einem bisher nicht dagewesenen Umfang investierten, werden wir verhindern können, dass Deutschland sich weiterhin auf mittel- oder letztplatzierten Plätzen in der internationalen Gesellschaft und Wirtschaft wiederfindet.

Eltern möchten die bestmögliche Bildung von Kindern und Jugendlichen, weil sie wissen, dass damit dauerhaft die Zukunft aller gesichert werden kann.


nach oben

Einführung/Thesenpapier/
Bericht

- Holger H. Lührig / Marion Lührig
- Prof. Dr. Herbert Kubicek
- Prof. Dr. Uta Meier
- Dr. Hermann Rotermund

Round-Table 1:
Multimedia-Nutzung und Lernen:
- Renate Hendricks
- Gabriele Lichtenthäler
- Prof. Dr. Birgit Dankert

Round-Table 2:
Bund/Länder-Programme auf dem Prüfstand
- Roland Simon
- Prof. Dr. Gabriele Winker