STARKE-FAMILIEN-GESETZ : Richtiger Schritt, aber noch keine Kindergrundsicherung

24. März 2019 // Dagmar Schlapeit-Beck

Der Bundestag hat am 21.03.2019, das sog. Starke-Familien-Gesetz – StaFamG zur Neugestaltung des Kinderzuschlags und des Bildungs- und Teilhabepakets verabschiedet. Mit den Stimmen der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion verabschiedete das Parlament den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vom Familienausschuss geänderten Fassung gegen das Votum der FDP- und der Linksfraktion. Bündnis 90/Die Grünen und die AfD enthielten sich der Stimme.

zwd-Chefredakteurin Dagmar Schlapeit-Beck
zwd-Chefredakteurin Dagmar Schlapeit-Beck

zwd Berlin. Das Starke-Familien-Gesetz soll Erwerbstätige und ihre Kinder davor bewahren, in den SGB II-Bezug zu rutschen. Die Koalition hat ihren Gesetzentwurf während der Ausschussberatungen noch einmal verbessert. Dabei wurde der monatliche Betrag für Vereinsmitgliedschaften von Kindern von zehn auf 15 Euro erhöht.Zudem wird das Einkommen von Kindern weniger stark auf den Kinderzuschlag angerechnet.

Erhöhung des Kinderzuschlags

Das Starke-Familien-Gesetz enthält eine Reihe von finanziellen Verbesserungen, die besonders Kindern in einkommensschwachen Familien zu Gute kommen sollen. Ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums hat dazu mitgeteilt, dass der Antragsaufwand für Familien deutlich einfacher und der Bezug der Leistungen verlässlicher werden soll. Der Kinderzuschlag wird auf max. 185 Euro pro Kind und Monat erhöht. Betroffene Familien müssen nicht mehr jede Einkommensveränderung sofort melden und den Kinderzuschlag entsprechend neu beantragen. Der Kinderzuschlag wird grundsätzlich für sechs Monate gewährt.

Bildungs- und Teilhabepaket (BuT)

Das Bildungs- und Teilhabepaket steht allen Familien zu, die SGB II, Sozialhilfe, Asylleistungen, Wohngeld oder den Kinderzuschlag erhalten. Der Betrag für persönlichen Schulbedarf wird von 100 auf 150 Euro jährlich erhöht.Die Eigenanteile an der Mittagsverpflegung und dem ÖPNV-Ticket entfallen. Lernförderung wird unabhängig von der Gefährdung der Versetzung gewährt.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der den Gesetzentwurf zusammen mit Familienministerin Dr. Franziska Giffey (SPD) eingebracht hat, betonte, dass das Gesetz Familien mit kleinen Einkommen und Alleinerziehenden zugute komme. Davon würden vor allem von Armut bedrohte Kinder profitieren. Die Zahl der anspruchsberechtigten Kinder werde sich um 1,2 Millionen erhöhen.

Das Gesetz sieht eine Erhöhung des Kinderzuschlags zum 1.7. 2019 von derzeit maximal 170 Euro pro Monat und Kind auf 185 Euro vor. Zudem wird das Einkommen der Kinder den Kinderzuschlag nur noch zu 45 Prozent statt bisher zu 100 Prozent mindern. Die ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehene 100-Euro-Grenze hatte der Familienausschuss gestrichen.

„Abbruchkante“ entfällt

Zum 1. 1. 2020 wird die „Abbruchkante“, an der der Kinderzuschlag bislang schlagartig entfällt, wegfallen. Zusätzliches Einkommen der Eltern soll den Kinderzuschlag nur noch zu 45 statt 50 Prozent mindern. Ebenso erhalten Familien den Kinderzuschlag auch dann, wenn sie kein Arbeitslosengeld II beziehen und ihnen mit ihrem Erwerbseinkommen, dem Kinderzuschlag und dem Wohngeld höchstens 100 Euro fehlen, um die Hilfsbedürftigkeit nach dem SGB II zu vermeiden.

Bürokratisches Antragsverfahren

Die Oppositionsfraktionen kritisieren zu Recht, dass der Kinderzuschlag bislang nur von 30 Prozent der anspruchsberechtigten Familien bezogen wird und dass die Bundesregierung in ihrer eigenen Gesetzesvorlage davon ausgehe, dass sich dieser Anteil in den kommenden Jahren auf lediglich 35 Prozent erhöhen wird. Verantwortlich dafür sei das bürokratische Antragsverfahren. Der familienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Gregorios Aggelidis forderte, den Bewilligungszeitraum für den Kinderzuschlag nicht nur auf sechs, sondern auf zwölf Monate zu verlängern. Zudem kritisierte Aggelidis, dass das selbst erwirtschaftete Kindeseinkommen zu 45 Prozent auf den Kinderzuschlag angerechnet werde. Die FDP konnte sich mit ihren Änderungswünschen jedoch nicht durchsetzen.

Linke und Grüne: Familienpolitik für Besserverdienende

Die Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Annalena Baerbock, warf der Regierungskoalition vor, sie betreibe eine einseitige Familienpolitik zugunsten von Mittelstandsfamilien. So stelle die Koalition allein sechs Milliarden Euro für das Baukindergeld und die Kindergelderhöhung zur Verfügung, aber nur 1,3 Milliarden Euro für das Starke-Familien-Gesetz. Von der Kindergelderhöhung und dem Baukindergeld würden arme Familien jedoch kaum profitieren.

Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der Linksfraktion, Norbert Müller, kritisierte, dass eine Familie mit drei Kindern alle sechs Monate 17 Anträge stellen müsse, um den Kinderzuschlag und die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaketes zu beziehen. Das Bildungs- und Teilhabepaket sei ein „Bürokratiemonster“, ein Drittel der Gelder würden in die Verwaltung fließen. Müller forderte eine Neuberechnung des Existenzminimums für Kinder, in das auch die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepakets fließen sollen. Dies entspreche auch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 2011.

Die Anträge der Grünen nach Neuberechnung der Regelsätze für Kinder, um das soziokulturelle Existenzminimum abzusichern und automatisierte Auszahlung des Kinderzuschlags wurden jedoch abgelehnt.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Mast betonte, dass auch ihre Fraktion eine Kindergrundsicherung einführen wolle. Die Neugestaltung des Kinderzuschlags sei ein erster Schritt in die Kindergrundsicherung.

Das Starke-Familien-Gesetz ist hilfreich bei der Unterstützung bedürftiger Familien durch die Erhöhung der monetären Transferleistungen. Zur Bekämpfung von Kinderarmut und einer ausreichenden Existenzsicherung reicht diese Korrektur im bestehenden Sozialsystem jedoch nicht.

Der von Andrea Nahles angekündigte Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik hin zu einer Kindergrundsicherung verlangt einen prinzipiellen Systemwechsel im Dschungel der Sozialleistungen.Eine grundsätzliche Reform und Weiterentwicklung des heutigen ungerechten Systems der monetären Förderung von Familien verlangt weitergehende Schritte, wie etwa die Umwandlung der steuerlichen Kinderfreibeträge in eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung.

Dem Staat muss jedes Kind gleich wert sein. Zudem müssen die monetären Maßnahmen durch Veränderungen der Infrastruktur flankiert werden, eine Hauptkritik am zersplitterten Bildungs- und Teilhabepaket (BuT). Das BuT wird lediglich von 15 Prozent der Berechtigten in Anspruch genommen. Der Kinderzuschlag wird bisher nur von 30 Prozent der berechtigten Familien beantragt.

Das Gesetz zeigt deutlich die Grenzen der bestehenden Familienpolitik. Leistungen sind nur dann gerecht und zielgenau, wenn sie bei den Berechtigten auch ankommen. Broschüren und internet helfen bei einem komplexen und intransparentem Leistungssystem nicht weiter.

Ein zugehender Sozialstaat lässt alle Kinder kostenlos mit Bus und Bahn fahren, bietet ein kostenloses Mittagessen in Kitas und Schulen für alle an, fördert Sport und kulturelle Teilhabe durch offene und kostenlose Museen, Bibliotheken und Theater. Zwischen Kind und Buch darf es keinerlei Barrieren geben, erst recht keine kostenpflichtigen Bibliotheksausweise. Dass damit auch die einkommensstärkeren Familien begünstigt werden, ist kein Gegenargument. Nicht nur aus Abwehr gegen den Antragsirrsinn beim BuT von Minibeträgen pro Kind und Monat, sondern auch aus Scham, die eigene Bedürftigkeit bei der Unterstützung von Klassenfahrten und Nachhilfe in einem unwürdigen Verfahren unter Beweis stellen zu müssen, verzichten die meisten betroffenen Familien zu Lasten ihrer Kinder auf diese Leistungen.

Gerechtigkeit sollte nicht am Kostenbeitrag für das Schulmittagsessen oder beim Beitrag für den Sportverein abgelesen werden, sondern durch eine Reform der Steuersätze. Die Abschaffung des Ehegattensplittings ist überfällig. Familien müssen entlastet werden und Familie ist dort, wo Kinder sind. Die Tatsache, dass eine geschiedene Alleinerziehende eine höhere Steuerlast zu tragen hat, als ein kinderloses Ehepaar ist purer Anachronismus.

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